Dass Amateure abgezockte Wallstreet-Profis beinahe zu Fall gebracht hätten, erweist sich bei näherem Hinsehen als kompletter Unsinn. Am Ende wird es eher umgekehrt sein. Doch der Gamestop-Krimi läuft vorerst weiter.
von Ernst Wolff
Glaubt man den Mainstream-Medien, dann erlebt die Wall Street in diesen Tagen eine Revolution. Ihren Berichten zufolge verbünden sich zurzeit Schwärme von Kleinanlegern über Trading Apps wie RobinHood und WallStreetBets und zwingen Mega-Hedgefonds durch gezielte Aktienkäufe in die Knie.
Das alles klingt nach einer filmreifen Auseinandersetzung zwischen Außenseitern und dem Establishment, hat aber mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun. Es handelt sich nämlich ganz offensichtlich um ein abgekartetes Spiel, bei dem die Außenseiter zu Millionen hinters Licht geführt werden.
Online traden mit RobinHood, WallStreetBets & Co
In den vergangenen Jahren sind immer mehr provisionsfreie Trading Apps auf den Markt gekommen, die den Onlinehandel mit Aktien ermöglichen. Dieser Trend hat sich im vergangenen Jahr erheblich verstärkt. Die Lockdowns haben viele junge, zum Teil arbeitslose Menschen dazu gebracht, ins Börsengeschäft einzusteigen. Der so entstandene Markt hat zum Jahreswechsel allein in den USA die Eine-Billion-Dollar-Grenze überschritten.
Da den meisten Neulingen jegliche Börsenerfahrung fehlt, stellen die Anbieter Plattformen bereit, auf denen der einzelne User nachsehen kann, wie die übrigen Mitstreiter traden.
Das führt mitunter zu einer Art Schwarmbildung, die den Kurs einzelner Aktien in die Höhe treibt – mit bisweilen grotesken Folgen: So schossen die Aktien des US-Autovermieters Hertz Anfang Juni 2020 plötzlich um fast 1500 Prozent in die Höhe, obwohl das Unternehmen am 22. Mai 2020 Insolvenz angemeldet hatte. Grund war, dass sich ein Schwarm von RobinHood-Tradern auf die Papiere gestürzt hatte.
In der vergangenen Woche konnte man ein ähnliches Phänomen beobachten, allerdings mit erheblich größeren Auswirkungen: Trader von WallStreetBets und RobinHood trieben die Aktienkurse der Einzelhandelskette GameStop und des Kino-Betreibers AMC in aberwitzige Höhen. Beide Firmen sind zwar nicht insolvent, kämpfen aber mit großen Problemen.
Dass diesem Vorgang erheblich mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde als dem Fall Hertz hat seinen Grund: Milliardenschwere Hedgefonds hatten zuvor mit hohen Summen auf sinkende Kurse beider Unternehmen gewettet und gerieten durch deren plötzlichen Kursanstieg in Bedrängnis.
Der Hintergrund: Short Squeezes bringen Leerverkäufer in Not
Hedgefonds durchkämmen die Märkte ständig nach börsennotierten Unternehmen, die in Schwierigkeiten stecken und deren Aktienkurse in ihren Augen weiter fallen werden. Auf diese schließen die Hedgefonds Leerverkäufe ab (englisch: short selling).
Zu diesem Zweck leihen sie sich die Aktien dieser Unternehmen und verkaufen sie umgehend, um sie später unter dem Kaufpreis wieder aufzukaufen und die Differenz als Gewinn einzustreichen. Eine extreme Variante dieses Geschäftsmodells ist der ungedeckte Leerverkauf (englisch: naked short selling): Hierbei verkauft man Aktien, die man gar nicht besitzt, um nach dem Kursverfall in gleicher Menge Aktien aufzukaufen.
Das Spiel ist natürlich riskant und funktioniert nur so lange, wie die Kurse tatsächlich fallen. Sollten die Kurse plötzlich steigen und die Leerverkäufer merken, dass es sogar noch weiter nach oben geht, können sie ihre Verluste nur dadurch eingrenzen, dass sie die Aktien umgehend kaufen – womit sie die Kurse noch weiter nach oben treiben und andere Leerverkäufer in Bedrängnis bringen. Einen solchen Kursanstieg mit möglichem Dominoeffekt nennt man Short Squeeze.
RobinHood und WallStreetBets: Kurz in Ungnade gefallen, dann wieder obenauf
Genau dieses Phänomen konnte man nach dem rasanten, von WallStreetBets und RobinHood ausgelösten Anstieg der Aktien von GameStop und AMC beobachten. Der Hedgefonds Melvin Capital geriet so sehr in Schieflage, dass zwei andere, nämlich Citadel und Point72Asset Management, die im Falle seiner Insolvenz mit in den Abgrund gerissen worden wären, ihn durch den Einsatz von 2,75 Milliarden Dollar retten mussten.
Sowohl RobinHood als auch WallStreetBets setzten daraufhin den Handel mit den betroffenen Aktien weitgehend aus und trugen so dazu bei, dass die Kurse wieder fielen – zum Vorteil der Leerverkäufer und zum Nachteil der Neotrader. Das erzeugte im Netz einen Sturm der Entrüstung gegen die Betreiber von RobinHood und WallStreetBets.
Dieser aber verpuffte schnell, da die Handelsbeschränkungen zumindest teilweise wieder gelockert wurden und die Kurse sich nach und nach wieder erholten. Später schlug der Trend sogar ins Gegenteil um: Immer neue Interessenten luden die Apps hinunter, um ebenfalls zu traden.
Die Mainstream-Medien-Version vom Kampf der Underdogs gegen die übermächtigen Wall-Street-Giganten zeigt offensichtlich Wirkung: Man will dabei sein, wenn es gilt, diesen historischen Kampf zu verschärfen und dabei auch noch abzukassieren.
Für den digital-finanziellen Komplex verläuft alles nach Plan
Hinter all diesen Ereignissen steht mit hoher Wahrscheinlichkeit ein strategischer Plan des digital-finanziellen Komplexes. Sein Ziel darin besteht, noch mehr Geld in diese Plattformen fließen zu lassen, um die Finanzmärkte weiter zu befeuern. Dass Amateure abgezockte Wallstreet-Profis beinahe zu Fall gebracht hätten, erweist sich bei näherem Hinsehen jedenfalls als kompletter Unsinn.
Niemand sollte glauben, die Wall Street sei so dumm, die Masse der mittlerweile mehr als 15 Millionen Trader von RobinHood und WallStreetBets unbeobachtet gewähren zu lassen, ohne deren Plattformen ständig zu beobachten und zu manipulieren.
Man muss sich nur die geschäftlichen Verbindungen im Hintergrund ansehen, denn zwischen den Betreibern der Plattformen und den Hedgefonds gibt es enge Verbindungen. So zählt der Hedgefonds Citadel, der Melvin Capital zu Hilfe gekommen ist, zu den Kunden von RobinHood und dürfte wohl kaum daran interessiert sein, die Hand, die ihn füttert, zu beißen.
Außerdem sollte man wissen, dass die größten Anteilseigner von GameStop mit insgesamt 26 Prozent BlackRock und Fidelity sind, also zwei Vermögenverwaltungen, die mehr als zehn Billionen Dollar ultrareicher Investoren verwalten, und denen der Kursanstieg satte Gewinne eingebracht hat.
Im Übrigen sollte man alle RobinHooder darauf hinweisen, dass die Betreiber ihrer Plattform erst vor wenigen Wochen von der US-Börsenaufsicht SEC zur Zahlung einer Strafe von 65 Millionen Dollar verurteilt wurden, weil sie ihre Kunden jahrelang belogen und betrogen hatten, indem sie die Kundenorders von ihren Brokern nicht zu den bestmöglichen Kursen ausführen ließen und sich die so entstehenden Kursspannen zum Nachteil ihrer Kunden mit ihnen teilten.
Zu guter Letzt sollte man nicht außer Acht lassen, dass RobinHood, inzwischen über elf Milliarden Dollar wert, Insidern zufolge in diesem Jahr den Börsengang plant und sich zu diesem Zweck beraten lässt, und zwar von niemand anders als - Goldman Sachs.
Worum geht‘s in Wirklichkeit?
Das globale Finanzsystem wird seit der Krise von 2007/08 nur durch kontinuierliche Geldinjektionen bei gleichzeitigen Zinssenkungen am Leben erhalten. Da die Zinsen mittlerweile bei null angekommen sind, bleibt zukünftig also nur noch das Mittel der Geldinjektionen.
Diese wurden bisher in Form von sogenannten „Hilfspaketen“ durch die Zentralbanken in den Geldkreislauf eingespeist. Das hat sich im vergangenen Jahr geändert. Wegen der Pandemie-Maßnahmen haben die Staaten immer größere Hilfszahlungen an Normalbürger geleistet; in den USA zum Beispiel hat die Regierung Schecks in Höhe von 600 Dollar pro Woche ausgegeben.
Gleichzeitig haben große Geldgeber Werbekampagnen für die neuen Trading-Plattformen gesponsert, so dass ein erheblicher Teil der staatlichen Zahlungen direkt in die Spekulation geflossen ist und die Finanzmärkte angetrieben hat. Dieser Trend soll in den USA in diesem Jahr sogar noch weiter angeheizt werden: Die Biden-Administration plant wöchentliche Zahlungen in Höhe von bis zu 2000 Dollar für insgesamt fast 100 Millionen US-Bürger.
Im Klartext heißt das: Die Trading-Plattformen wie RobinHood und WallStreetBets sind keinesfalls dazu da, um eine Revolution an der Wall Street anzuzetteln und die Großen im Geschäft in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen. Ganz im Gegenteil: Sie sind ein integraler Bestandteil der riesigen Wall-Street-dominierten Geldmaschine.
Ihre Aufgabe besteht darin, das vom Staat im Interesse des digital-finanziellen Komplexes erzeugte Geld aufzusaugen und es auf direktem Weg in das Finanzcasino zu leiten, damit die ungehemmte Zockerei unser Tage ungehindert weitergehen kann – und das ganz bestimmt nicht zum Vorteil von Schwärmen ahnungsloser Kleinanleger.
Silber 1000? Gamestop, AMC, Nokia?
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