Vorhersagen für DAX, Dow & Co. sond immer schwierig. Eines kann man aber schon jetzt sicher sagen: Das Jahr 2022 wird das Jahr der Inflation. Wärend Börsen deshalb nach oben gehen könnten hat das Nachsehen der normale Sparer.
von Sascha Opel
Der Ausblick auf das Börsengeschehen des Jahres 2022 ist dieses Mal besonders schwer und unserer Meinung nach vor allem von 5 Faktoren abhängig, die jedoch zum Teil eine gegenseitige Wechselwirkung zueinander besitzen:
- Der künftigen Geldpolitik,
- er Inflationsentwicklung,
- den weiteren (politischen) Maßnahmen in der Coronapandemie,
- dem nun Dynamik aufnehmenden Umbau der Wirtschaft im Rahmen des „Green Deal“ und „Great Reset“, und
- der Entwicklung der Beziehungen zu China.
Je nachdem, wie sich diese fünf Faktoren entwickeln, scheint von einem veritablen Börsencrash, bis zu einer weiteren Befeuerung der Aktienkurse (inflationärer „Crack-Up-Boom“) alles denkbar.
Zunächst das mögliche „bärische Szenario“:
Hohe Bewertungen sind eine Folge der niedrigen (bzw. nicht vorhandenen) Zinsen. Die aktuelle Bewertung aller Finanzanlagen basiert auf deren zu Marktzinsen diskontierten künftigen Cashflows. Je niedriger die Zinsen, desto höher sind die Bewertungen. Sollten die Zinsen steigen, dürften die Bewertungen fallen. Je schneller und höher die Zinsen steigen, desto tiefer könnte es bei vielen Aktien indizes nach unten gehen.
Die FED fährt ihre Anleihenkäufe im Januar, Februar und März um jeweils 30 Mrd. USD pro Monat zurück. Die EZB beendet das PEPP Programm Ende März, wobei sie mittels APP-Programms weiterhin Anleihen kauft. Erweist sich die Inflation in 2022 nicht als „vorübergehend“, werden die Zentral banken wohl gezwungen, die Zinsen anzuheben, was grundsätzlich immer zu einer fundamentalen Veränderung der Ausrichtung der Marktteilnehmer geführt hat.
Begleitet wird das latente Zinsrisiko von zunehmend verfeindeten Beziehungen zwischen den USA und China. Ein „Schwarzer Schwan“ könnte daher der Einmarsch Chinas in Taiwan, oder der Russlands in die Ukraine sein. Will der Westen bezüglich Menschenrechte glaubwürdig bleiben, müsste man die Beziehungen zu China weiter kappen, was bei einer Rückverlegung von kritischer Produktion wiederum die Inflation weiter anheizt. Dass die Inflation mit 5,2% in Deutschland im November möglicherweise kurzfristig erstmal Ihren Höhepunkt erreicht hat (wie es die EZB proklamiert), kann durchaus sein, da einige Sonderfaktoren (wie extrem gestiegene Öl– und Rohstoffpreise) nun zunächst wieder wegfallen und dämpfend wirken.
Höchste Inflation seit 40 Jahren Größter Anstieg der Erzeugerpreise seit 70 Jahren
Allerdings sind die Preissteigerungsraten für Vorprodukte bei den gewerblichen Erzeugerpreisen hierzulande im November um 17,5 Prozent, in Spanien sogar 31,8 Prozent (!) gestiegen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes war diese Preissteigerung (mit Ausnahme von 1951) in keinem Nachkriegsjahr höher als heute. "Wir haben eine Inflation, die es seit Menschengedenken nicht gab, wie sie nur einmal im Leben vorkommt", sagte dazu der ehemalige IFO-Chef Hans Werner Sinn in seinem Jahresrückblick.
Zum Vergleich: Selbst zu Zeiten der großen Ölpreisschocks waren es nur 14,6 und knapp 10 Prozent. Damit erlebt Deutschland die stärkste Inflation der gewerblichen Erzeugerpreise seit 70 Jahren. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis diese Preiserhöhungen bei den Vorprodukten auch die Endverbraucherpreise erreichen. Daher ist unsere Prognose, dass die Inflation in 2022 sehr wahrscheinlich in mehreren Wellen kommen wird. Nach einem Rücksetzer zum Jahresbeginn, dürfte es dann wieder nach oben gehen. Entsprechende Kurs-Wellen werden mit diesen Daten an der Börse folgen.
Dann droht eine Lohn-Preis-Spirale, da die Gewerkschaften in 2021 noch auf die Pandemiebedingungen mit relativ moderaten Abschlüssen Rücksicht genommen haben. Diese Rücksicht wird man 2022 wohl kaum walten lassen. Hinzu kommt, dass nun auch die Inflationserwartungen in der Masse der Bevölkerung zu steigen beginnen. Achten Sie darauf, was Ihre sonst eher weniger Finanzmarktaffinen Verwandten berichten. Jeder dürfte inzwischen merken, dass die Preise angezogen haben. Nicht nur, wenn man sich eine neue Wohnung oder Haus leisten will, wo man immer weniger Quadratmeter für den Euro bekommt. Wenn man glaubt, dass es Inflation gibt, kauft man Waren zudem früher, als man sie sonst gekauft hätte.
Würde es Corona nicht geben, man müsste es zur Inflationserzeugung beinahe erfinden!
Ist diese Erkenntnis erstmal verankert, dann führt Inflation zu noch mehr Inflation. Genau so wie Deflation (also die Erwartung weiter fallender Preise) zu noch mehr Deflation führen kann. Umso wichtiger ist daher Preisstabilität, für die die Notenbanken eigentlich da sind. Da die EZB die jüngsten Inflationsdaten quasi negiert, könnte sie 2022 unter enormen Druck geraten, da man sich in eine Sackgasse manövriert hat. Von der Politik sind weitere Inflationsfördernde Entscheidungen zu erwarten. Die Erhöhung des Mindestlohns, die Heraufsetzung des CO2-Preises und der gigan tische (teure) Umbau der Wirtschaft auf Klimaneutral setzen weiteres Inflations potenzial frei. CO2 eingespart - Inflation freigesetzt könnte man konstatieren.
Hinzu kommen die Unsicherheiten bezüglich der Pandemiebekämpfung. Weitere Lockdowns könnten erneut die Lieferketten stören und erneut eine Produkt knappheit zur Folge haben, was eine weitere Erhöhung der Preise zur Folge hätte. Verschwörungstheoretiker könnten auf die Idee kommen, dass man durch Corona nun endlich einen Vorwand gefunden hat, um die Inflation so richtig schön anzuheizen. Denn nur durch Inflation lassen sich die Staatsschulden beseitigen.
Staatsschulden durch Inflation abbauen - endlich läuft es! Der Geldsparer ist der Dumme
Rohstoffpreise sind bezüglich dieser nicht-vorhersehbaren, politischen Entscheidungen rund um den Globus, kaum noch zu prognostizieren. Wenn China beispielsweise seine „No-Covid-Strategie“ weiter fortsetzt und ganze Häfen sperrt, nur weil ein einzelner Arbeiter infiziert war, dann werden die Diskussionen um das „Entkoppeln“ von China und damit einer teilweisen Rückabwicklung der Globalisierung (die durch die billigen Arbeitskräfte in Asien extrem deflationär ge wirkt hat) weiter an Rückenwind gewinnen. Eine Rückverlagerung von Produktion ist aus unserer Sicht zwar in Teilbereichen zu begrüßen, wirkt aber ebenfalls inflationär. Kritisch für die Märkte könnte sich auch die Dollar-Euro-Zinsdifferenz auswirken, wenn der Euro gegenüber dem Dollar weiter abwertet und somit eine importierte Inflation in der Eurozone entsteht, während die USA durch einen starken US-Dollar ihre Inflation nach unten drücken können.
Wir haben in den letzten Jahren hier immer wieder die These vertreten, dass sich die Staatsschuldenkrise, die sich insbesondere nach Lehman 2008 aufgebaut hat und die bis 2012 beinahe den Bruch der Eurozone bewirkt hätte (bis Draghis „Whatever it Takes“ die Zweifel beendete und klar war, dass der Euro endgültig „Lirarisiert“ wird), nur durch eine lange Inflationsphase „gelöst“ werden kann. Es scheint, als hätte man dank Corona nun den Lösungsbaukasten zum Anheizen der Inflation in der Hand. Denn die Alternativen zur Reduzierung der Staatsschulden wären:
Gewinner: Sachwertbesitzer / Verlierer: Lohnabhängige
Sparen (Funktioniert nicht, da unser Geldsystem ein Schuldgeldsystem ist und Sparen zu einer Schrumpfung der Wirtschaft mit zahlreichen Insolvenzen und einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit führt) • Schuldenrestrukturierungen (wie damals in Griechenland, wo man die Schulden einfach auf zig Jahre gestreckt und den Zins gesenkt hat) und womöglich einer Währungsreform (Politisch nicht gewollt; der Euro muss auf Teufel-komm-raus bewahrt werden). • Umverteilung von reich zu arm Letzteres könnte am Ende einer längeren Inflation noch populär werden, da zweifelsohne Immobilieneigentümer, Aktionäre und andere Sachwertbesitzer zu den Gewinnern der Inflation zählen, während der reine Lohnempfänger, der zur Miete wohnt und sonst keine Assets besitzt, der Verlierer sein wird.
Vielen Lohn– und Gehaltsempfängern aus der klassischen Mittelschicht geht es schlechter als vor 10 Jahren (vor dem „Whatever it takes“ von Draghi, als die „Eurorettung“ durch die wundersame Geldvermehrung begann), da man sich beispielsweise den Traum von der eigenen Wohnung oder dem eigenen Haus, angesichts der seitdem deutlich schneller gestiegenen Immobilienpreise als der Lohnentwicklung, schlicht nicht mehr leisten kann. Dass das Sparvermögen der Deutschen weiter gewachsen ist und nun 6,7 Billio nen Euro beträgt, ist diesbezüglich übrigens kein Widerspruch.
Während man 2010 mit 50.000 Euro angespartem Eigenkapital problemlos eine 250.000 Euro Wohnung in Berlin mit 100qm finanzieren konnte (20% EK-Anteil), muss man heute für die gleiche Wohnung eher 600.000 Euro hinlegen und 120.000 Euro Eigenkapital mitbringen, um eine Finanzierung zu bekommen. Folglich bleibt das Geld eben auf dem Konto und muss der EZB-Logik folgend durch Negativzinsen „abgeschmolzen“ werden. Selbst die BILD hat jüngst erkannt, dass die Deutschen Sparguthaben so die Rentner in Südeuropa indirekt finanzieren. Mit Blick auf die riesigen Ersparnisse der Deutschen ist ein Schwenk von SPAREN (=Konsumverzicht) in Richtung INVESTIEREN (=Produktivkapital für sich arbeiten lassen) eigentlich seit vielen Jahren überfällig.
Den letzten (Klein)Sparer beißen die Hunde?
Allerdings haben wir diesbezüglich eine große Befürchtung: Es wachen zwar immer mehr Sparer auf, da sie erkennen, dass ihr Geld auf dem Konto nun per Negativzins und Inflation langsam aufgefressen wird. Aber viele dieser Sparer, die nun womöglich in den Aktien– oder Immobilienmarkt drängen, haben von diesen Märkten eigentlich keine Ahnung und trennen sich auch wiederwillig von Ihrem (unproduktiven, aber vermeintlich sicheren) Ersparnissen.
Sollte also (wieder einmal) der unerfahrene „Kleinsparer“ am Ende eines Zinszyklus in den seit Jahren boomenden Aktien– und Immobilienmarkt gelockt werden (da man denkt, es geht ja immer weiter nach oben), könnte dies einen Kipppunkt darstellen. Ob es an den Aktien– und Immobilienmärkten in Europa weiter nach oben geht, hängt also davon ab, ob die Zinsen weiter Negativ bleiben und ob es „mehr Idioten als Aktien gibt, oder umgekehrt“. (Originalzitat von Börsenaltmeister Andre Kostolany). Kurzum: Während die Einflussfaktoren (Geldpolitik, Inflation, Pandemie bekämpfung, China) schon eine kaum vorhersehbare Entwicklung nehmen können, ist die Gemütslage der Anleger, welche schließlich „die Märkte“ ausmacht, noch schwerer zu fassen.
Warum der Betrachtung der Anlegerstimmung in 2022 entscheidende Bedeutung zufallen könnte!
Wir sind ziemlich sicher, dass das Beobachten des Anlegersentiments unter „Behavioral Finance“-Gesichtspunkten in 2022 womöglich wichtigere Hinweise geben könnte, als die Betrachtung von fundamentalen Entwicklungen. Wir hatten bereits im letzten Quartal zum Teil extreme Stimmungsschwankungen. Was kann uns „Behavioral Finance“ lernen? Einfach auf den Punkt:
Sind die Anleger extrem positiv gestimmt, muss man vorsichtig werden, sind sie negativ gestimmt, geht es vermutlich weiter nach oben. Die Kurse tendieren also meist entgegen der Stimmung. Logisch: Ist man investiert, will man an steigende Kurse glauben. Ist man nicht investiert, ist man eher negativ für den Markt. Und je mehr Anleger negativ für den Markt sind, desto mehr Cash für potenzielle Käufe liegt an der Seitenlinie. Wenn jedoch alle investiert und bullisch sind, gibt es kaum noch jemanden, der kaufen kann und die Kurse weiter nach oben treibt.
Was uns Stimmungstechnisch zuletzt aufgefallen ist, ist die unglaublich hohe Erwartungshaltung neuer (meist junger) Anleger bezüglich künftiger Renditen. Laut einer Sentix-Umfrage kann man sogar von Gier sprechen, da die Renditeerwartungen für 2022 auf dem höchsten Stand seit Beginn der Erhebungen im Jahr 2015 liegen. Und dies trotz der jahrelang gestiegenen Kurse, einer möglichen Straffung der Geldpolitik und der hohen Bewertungen. Man könnte daraus schließen, dass die Notenbankpolitik der letzten Jahre das Risiko-Bewusst sein der vielen Erstanleger, die seit Corona in Massen neue Depots eröffnet haben, ausgeblendet hat.
Aus Sentimentsicht (viel zu hohe Renditeerwartungen) könnte 2022 daher ein erhebliches Enttäuschungspotenzial in sich tragen. Aber: Und hier kommt das (ebenso mögliche) bullische Szenario. Es könnte auch zu einer Überhitzung der Weltwirtschaft angesichts der extremen Konjunktur maßnahmen, die durch das Gelddrucken zur Pandemiebekämpfung eingeleitet wurden, kommen. Wegen dem veränderten Fokus, von Geldwertstabilität auf „Beschäftigungsziele“, lässt die EZB die Geldschleusen weiter offen. Immer mehr Anleger flüchten in den Aktienmarkt, da zum einen das Vertrauen in den Euro schwindet und auf der anderen Seite die Gewinne der Unternehmen, welche eine hohe Preissetzungsmacht besitzen, sprudeln.
Das bullische Szenario: Flucht in den Aktienmarkt könnte 2022 zum Crack-Up-Boom führen
Hinzu kommt, dass angespannte Arbeitsmärkte die Inflation weiter ankurbeln (Lohn-Preis-Spirale beginnt). Der Crack-Up-Boom findet eine Fortsetzung und es kommt zu einem Fahnenstangenartigen Anstieg der Kurse, immer wieder unterbrochen von scharfen Korrekturen. „Buy-the-dip“ wird zum Standard, da die Anleger zudem blind darauf vertrauen, dass die Notenbanken den Markt nicht tief fallen lassen können, um durch fallende Assetpreise keine neue Deflation - oder gar „japanische Verhältnisse“ auszulösen. Somit wird auch 2022 ein super Börsenjahr, welches eventuell die finale Überhitzung darstellt, bevor eine längere Korrektur beginnt. Aber von früheren Haussen ist bekannt, dass gerade am Ende, wenn die Kurse überschießen, nochmal viel Geld verdient werden kann.