Das Finanzsystem in Großbritannien steht wegen Schieflagen bei den Pensionsfonds vor dem Zusammenbruch. Im Gegensatz zu früheren Krisen, ist es ausgerechnet die Notenbank, die den Crash zu provozieren scheint.
von Sascha Opel
In England versucht die BoE (Bank of England) ein gefährliches Experiment. Sie will dem Systen Geld entziehen. Doch die Betroffenen sitzen in den Pensionsfonds und haben in den letzten Jahrzehnten mächtige Hebel in einer Zinslosen Welt aufgebaut, die nun in die entgegengesetzte Richtung wirken und einen Teufelskreis ausgelöst haben. Geldentzug verstärkt den Teufelskreis. Ohne neues Geld stehen die Fonds blank da.
Das dortige Finanzsystem steht aufgrund mächtiger Schieflagen bei den Pensionsfonds vor dem Zusammenbruch. Und im Gegensatz zu früheren Krisen, ist es ausgerechnet die Notenbank, die den Crash zu provozieren scheint.
Man muss nicht im Detail ausführen, wie die Pensionsfonds in diese Schieflage gerieten. Aber man sollte zumindest den Mechanismus und das Selbstverständnis der Branche kennen, um eventuelle Schlüsse ziehen zu können, ob das Ganze noch gut ausgeht.
Es begann nach Lehman zur Finanzkrise 2008/09. Die Notenbanken haben damals riesige Mengen an Zentralbankgeld gedruckt, um eine Kettenreaktion aus Margin-Calls aufgrund mangelnder Liquidität zu verhindern. Mit den Coronamaßnahmen sorgte erneut eine (noch größere) Geldschwemme dafür, dass die Wirtschaft nicht endgültig abstürzte. Die gewaltig bereitgestellte Liquidität sorgte für steigende Assetpreise. Nun versucht man, diese Liquidität, die man als Ursache der nun zu bekämpfenden Inflation identifiziert hat, abzuschöpfen, indem man die Bilanzen der Notenbanken schrumpfen lassen möchte.
Damit könnte – so zeigt das Beispiel England – eine neue Finanzkrise heraufbeschworen werden.
Wir steuern damit auf den Punkt zu, wo die Zentralbanken vor die Wahl gestellt werden: Inflationsbekämpfung fortsetzen, oder Finanzsystem retten? Für was werden sie sich entscheiden?
Wir glauben, dass unser Finanzsystem eine echte Inflationsbekämpfung a’la Volcker nicht mehr aushält. Denn Anfang der 80er-Jahre, als der legendäre US-Notenbankchef Paul Volcker die Inflation erfolgreich in den Griff bekam und die Zinsen weit über das Inflationsniveau anhob, waren die Zeiten völlig anders. Volcker musste nur die Zinsen erhöhen und damit einen Wirtschaftseinbruch mit Rezession herbeiführen. Die Risiken und Nebenwirkungen für das Finanzsystem, welches noch nicht mehrfach gehebelt war, spielten keine Rolle. Heute schon.
Die britischen Pensionsfonds sind nur die Spitze des Eisbergs. Die jahrzehntelang fallenden Zinsen waren für viele Pensionsfonds und andere zinssensitive Fonds quasi gesetzt. Niemand konnte sich vorstellen, dass die Zinsen mal wieder signifikant steigen. Also musste man das Geschäft und die Anlagestrategie so ausgestalten, dass man auch ohne Zinsen Geld verdient. So begannen (nicht nur bei den britischen Pensionsfonds) allerlei „innovative Wetten“, die Zusatzerträge aufgrund ausbleibender Zinsen erwirtschafteten. Wetten auf weiter fallende Zinsen waren ebenso beliebt, wie das „hebeln“ von Anleihen.
Solange die Zinsen jahrzehntelang nur eine Richtung (nach unten) kannten, war das Ganze ein schönes Spiel: Fonds strichen Wettgewinne ein, die sie für immer weniger Zinserträge entschädigten. Nun aber sind die Zinsen schnell und stark gestiegen, und die Pensionsfonds konnten nicht so schnell reagieren, bzw. haben die Situation falsch eingeschätzt. Ihre Wetten sind nun tief ins Minus gerutscht und es sind Margin-Calls entstanden, die genau die Liquidität auffrisst, die eigentlich als Auszahlung an die Pensionäre gedacht war.
Um Geld zu beschaffen, mussten diese Geld beschaffen und dafür Staatsanleihen verkaufen. Die Kurse der Staatsanleihen sind wegen der steigenden Zinsen aber stark gefallen, so dass die Fonds gezwungen waren, Kursverluste zu realisieren, die sie eigentlich gar nicht hätten realisieren müssen, wenn sie die Anleihen bis zur Fälligkeit halten würden, was ja der Sinn und Zweck von „sicheren“ Pensionsfonds sein sollte. Und logischerweise führen Notverkäufe dazu, dass die Kurse der Staatsanleihen weiter fallen und die Zinsen damit weiter steigen.
Die Zinswetten auf fallende Zinsen geraten damit noch mehr in die Verlustzone, was den Teufelskreis aus weiteren Margin-Calls, dann weiteren Not-Anleiheverkäufe, damit weiteren Kursverlusten, und weiter steigenden Zinsen zur Folge hat.
Doch jetzt kommt das Paradoxe: logischerweise haben die in Schieflage befindlichen Pensionskassen bei der Bank of England interveniert, worauf die Notenbanker ihre eigenen Staatsanleihenverkäufe (die die Kurse der Staatsanleihen noch weiter gedrückt hätten) eingestellt haben. Man kaufte sogar kurz wieder Anleihen zurück, um den Pensionsfonds zu helfen. Die Märkte schienen vorläufig beruhigt. ABER: Die BoE will weiter an ihrem Plan, die Bilanz zu reduzieren, festhalten.
Nicht nur wir fragen uns inzwischen: Will die BoE etwa einen Unfall im Finanzsystem provozieren?
Wenn die BoE und vor allem die FED sich entschieden haben, die Inflationsbekämpfung über das Überleben des Finanzsystems zu stellen, dann sollte man möglichst keine Finanzassets mehr besitzen und den Großteil Cash halten. Ein deflationärer Crash der Assetbubble ist dann unausweichlich. Inklusive etlicher Pleiten unter Pensionsfonds und anderen Playern. Wen es genau erwischt, würde dann die Zeit zeigen. Diverse Namen wie die Credit Suisse werden ja bereits herumgereicht.
Wir können uns aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass man das Finanzsystem willentlich zum Einsturz bringt. Wahrscheinlicher ist, dass zu einem gewissen Zeitpunkt der „Kipp-Punkt“ erreicht sein wird, wo man das Finanzsystem rettet, indem man eine 180-Grad-Wende zu neuem Gelddrucken vollzieht. Vermutlich liegt dieser „Kipp-Punkt“ in nicht allzu ferner Zukunft.