713 Mrd. Euro oder knapp 8 500 Euro pro Nase gingen den deutschen Bürgern im abgelaufenen Jahr real verloren - bei einer offiziellen Inflationsrate von 10 %. Bei gefühlten 20 % wären es doppelt so viel.
Börsen-Zeitung: "Stummer Warnschrei", Kommentar zum Geldvermögen von Jan Schrader
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: 713 Mrd. Euro oder knapp 8 500 Euro pro Nase gingen den deutschen Bürgern im gerade abgelaufenen Jahr real betrachtet verloren, wenn der Stand der Geldvermögen von Ende 2021 und eine Inflationsrate von 10 % unterstellt werden. Selbst wenn der mutmaßliche Zuwachs der Vermögen im vergangenen Jahr gegengerechnet wird, blieb für die Masse der Menschen noch immer ein deutliches Minus. Die DZ Bank prognostiziert einen nominalen Wertzuwachs von 1,9 % für das abgeschlossene Gesamtjahr, was real immer noch einem Minus von 7,4 % entspräche. Die Bürger zahlen einen hohen Preis.
Weil die meisten Menschen nur eine ungefähre Vorstellung von realen Veränderungsraten haben, nehmen viele den massiven Verlust in der Geldanlage nicht wahr. Inflationsbereinigte Werte sind ein stummer Warnschrei, der nur von wenigen Menschen gehört wird - ein Missstand. Noch vor einem Jahr war die Situation grundsätzlich anders: Die zeitweiligen "Verwahrentgelte" der Banken waren für alle sichtbar und haben Kunden daher in höher rentierliche Geldanlagen gelotst, was für viele Leute vermutlich eine sinnvolle Entscheidung war. Die Wertverluste von Inflation zeigen sich hingegen nicht schwarz auf weiß. Die Gefahr ist groß, dass viele Sparerinnen und Sparer in Lethargie verfallen und die hohen Wertverluste nicht sehen. Real betrachtet kostet es heute weitaus mehr, das Geld auf dem Bankkonto zu belassen, als das noch vor Kurzem der Fall war. Reale Verluste lassen sich leider nur rechnerisch, nicht aber intuitiv erfassen.
Der Weckruf ist aber auch für die Notenbanken bestimmt: Sie stehen in der Verantwortung, die Inflation zu dämpfen. Gerade die EZB hat über viele Jahre eine ultraexpansive Geldpolitik verfolgt, von der nicht zuletzt hoch verschuldete Euro-Länder profitiert haben. Ob es tatsächlich gelingt, das Vertrauen in die Geldwertstabilität zu verteidigen, muss sich noch zeigen.
In der Vergangenheit wirkte die Niedrig-, Null- und Negativzinspolitik ähnlich wie eine Steuer, die Erträge von Vermögen abschöpft, während Staaten finanziell profitierten, weil sie sich billiger verschulden konnten. Eine auf Dauer hohe Inflation würde eine ähnliche Wirkung entfalten, denn auch sie nagt am Vermögen, während der Schuldenberg der öffentlichen Haushalte fällt. Natürlich ist es legitim, Vermögende zu belasten. Das aber darf nicht Aufgabe unabhängiger Zentralbanken sein, sondern von gewählten Politikern. Die hohe Last der Inflation erinnert erneut daran, wie wichtig eine klare Aufgabenteilung zwischen Notenbanken und Regierungen ist, so wie es im Euroraum dem Wort nach auch vorgesehen ist. Die stark gestiegenen Energiepreise sind nicht die Schuld der EZB, doch wie sehr sich die Inflation verfestigt, hängt wesentlich von der Geldpolitik ab.
Immerhin stimmt die aktuelle Schätzung zu den Geldvermögen hoffnungsfroh: Zumindest nominal haben die Bundesbürger erneut Vermögen aufgebaut, der reale Wertverlust hätte leicht auch höher ausfallen können. Das Vermögen der Bundesbürger ist im Laufe der Jahre kontinuierlich gewachsen, auch nach Abzug der Inflation ergibt sich auf lange Sicht ein deutliches Plus. Deutschland ist immer noch ein wohlhabendes Land. Hoffentlich bleibt es dabei.