Negative Konjunkturprognosen, drohender Handelskrieg und Währungs-Crash in Schwellenländern wie Türkei, Argentinien, Brasilien: Die Zinserhöhungen in den USA werfen ihre Schatten voraus.
Börsen-Zeitung: "Durststrecke"
Kommentar von Dietegen Müller zur Marktentwicklung in den Schwellenländern
Die US-Notenbank könnte noch zweimal in diesem Jahr an der Zinsschraube drehen. Dies hat sie zur Wochenmitte deutlich gemacht. Auch für nächstes Jahr haben die US-Notenbanker ihre Zinsprojektionen im Mittel gegenüber März leicht angehoben. Längerfristig blieb der Median mit 3,375 % (2020) und 2,875 % (längerfristig) dagegen unverändert. Zugleich läuft die Wirtschaft weiterhin ziemlich gut, auch wenn es da und dort Abschwächungszeichen zu sehen gibt.
Dies ist der Hintergrund für die Schwellenländermärkte, die in der ersten Jahreshälfte einen schwierigen Auftakt hatten. Gemessen am MSCI Emerging Markets Gross Return in Dollar liegen die Kurse der Schwellenländer-Aktien leicht unter dem Niveau von Ende 2017. Die im Januar 2016 gestartete Hausse ist einer Seitwärtsbewegung gewichen.
Zuletzt haben Negativschlagzeilen überwogen: Währungsverfall in der Türkei, in Argentinien, auch in Brasilien. Eben noch als viel versprechende Wachstumsregion verkauft, scheinen heute Schwellenländer schon aus der Mode gekommen.
Am stärksten zugespitzt hat sich die Lage in Argentinien. Die vor einem Jahr aufgelegte hundertjährige argentinische Staatsanleihe in Dollar über 2,75 Mrd. Dollar und mit 7,125 % Kupon war zur Auflage noch mehrfach überzeichnet. Heute wenden sich die Investoren ab, der Kurs notiert bei gut 80 % des Nennwerts.
Der argentinische Peso ist zugleich gegenüber dem Dollar auf bis 27,7 Peso abgestürzt - vor einem Jahr wurden noch Kurse von gut 15 Peso gestellt. Der Internationale Währungsfonds gab vor gut einer Woche eine Zusage über 50 Mrd. Dollar. Ökonomen bezweifeln, dass dem von hohen Defiziten und hoher Inflation, einem schwachen Finanzsektor sowie einer erratischen Reformpolitik geprägten Land bald die Wende zum Besseren gelingt.
Unter Druck ist auch Brasilien. Für 1 Dollar mussten zuletzt 3,8 Real bezahlt werden, kaum weniger als zum Rekordtief Ende Dezember 2015. Die innenpolitische Unsicherheit wird hier mit angekreidet. Die UBS rät in einer Einschätzung zu "Qualitätsmärkten" wie Mexiko und Chile, da die Volatilität der Währungen und Aktienkurse in Lateinamerika hoch bleiben dürfte. Die Innenpolitik wird auch die Entwicklung türkischer Assets beeinflussen - in dem Land stehen am 24. Juni vorgezogene Wahlen an.
Was Argentinien, die Türkei und - stark abgeschwächt - Brasilien im Extrem zeigen, ist ein generelles Thema: sich verändernde Kapitalströme durch steigende US-Zinsen.
Zudem reduziert sich durch geldpolitische Normalisierungsbemühungen wie dem Auslaufen der Netto-Anleihekäufe durch die Europäische Zentralbank die Liquidität im Finanzsystem.
Während politische Ereignisse dabei schwierig zu prognostizieren sind, ist die derzeitige Dollar-Knappheit in den Augen vieler Marktbeobachter ein Faktum, obwohl sich der beste Indikator dafür, der Dollar-Libor-OIS-Spread, wieder auf 40 Basispunkte verringert hat. Er war zwischen November und März von rund 10 auf 60 Basispunkte geklettert.
Da der Finanzierungsbedarf der USA durch Donald Trumps Defizitwirtschaft deutlich steigt, schließen einige Beobachter weiter steigende US-Zinsen und somit Zuflüsse in die USA nicht aus, was den Dollar stützen dürfte.
Zugleich könnten US-Investoren einen weniger großen Druck verspüren, im Ausland zu investieren. Dies könnte die Schwellenländermärkte in eine Durststrecke führen, auch wenn die Bewertungen vieler Assets dort deutlich ansprechender aussehen als etwa jene von US-Aktien. Kommt es zu diesem Szenario, hätte das genannte Problemtrio der Schwellenländermärkte eine harte Zeit vor sich.
Investoren tun aber gut daran, die Schwierigkeiten dieser drei Länder nicht zu verallgemeinern. Die Zinserwartungen der US-Notenbank legen zudem nahe, dass die US-Zinsen ab 2020 kaum weiter steigen.
Die Frage ist aber - warum? Wegen fehlendem Inflationsdruck und Konjunkturabkühlung? Die waghalsige Stimuluspolitik Trumps lässt anderes erwarten. Hinzu kommen unkalkulierbare Effekte eines sich weiter auszudehnen scheinenden Handelskonflikts. Gibt das dem Wachstum den entscheidenden Schlag? Oder zieht die US-Inflation vielmehr in diesem Umfeld stärker an?
Zumindest die Handelskonflikte und die Fiskalpolitik sprechen für zunächst höhere Teuerungsraten und womöglich höhere US-Zinsen als derzeit erwartet. Dies dürfte die Schwellenländer nicht ungeschoren lassen und könnte irgendwann sogar das hässliche Wort Stagflation in Mode bringen lassen.