Das deutsche Börsen-Urgestein Commerzbank fliegt nach 30 Jaren aus dem DAX (ab dem 24. September). Wird ersetzt durch den Münchener Zahlungsdienstleister Wirecard. Sind die Zeiten der Bankendinosuaurier vorbei? Wie sind die Aussichten für den DAX?
von Torsten Ewert
Zunächst ein kurzes Update zur Verfallstagsanalyse der Vorwoche: Der DAX kämpft vorerst weiterhin mit der ehemaligen Unterstützungszone zwischen 12.132,72 und 12.104,41 Punkten und ist damit von der optimalen Zielzone der Stillhalter zwischen 12.300 und 12.500 Punkten noch ein gutes Stück entfernt. Damit wird das bearishe Alternativszenario wahrscheinlicher.
Ein kurzes Update zum Verfallstag
Wenn der DAX von seinen Tiefs vom Sommer wieder zurückfällt, droht ein Rückfall bis an die Tiefs der Vorwoche, eventuell auch bis an die Jahrestiefs (siehe folgender Chart). Bei der entsprechenden Abwärtsdynamik könnte es auch zu neuen Jahrestiefs kommen, wobei die Absicherungsmaßnahmen der Stillhalter diese Abwärtsdynamik wie üblich noch verstärken dürften.
Allerdings hält sich der DAX zumindest recht robust über der 12.000er Marke, auch wenn er zuletzt mehrfach an der roten Widerstandszone scheiterte. Aus aktueller Sicht ist daher bis zum Verfallstag eine Seitwärtsbewegung bzw. Bodenbildung auf dem erreichten niedrigen Niveau (innerhalb der grauen Zonen) am wahrscheinlichsten. Wenn dem DAX dagegen doch noch der Ausbruch nach oben gelingt, könnte es sogar dynamisch in Richtung der grünen Zone gehen.
Was dann sofort nach dem Verfallstag passiert
Nachdem wir so den möglichen Fahrplan für den DAX bis zum großen Verfallstag am Freitag abgesteckt haben, können wir uns einem anderen Thema widmen.
Am kommenden Montag, also unmittelbar nach dem September-Verfallstag, wird die nächste reguläre Indexanpassung der DAX-Familie wirksam. Dabei wird die Commerzbank aus dem DAX ausscheiden und durch Wirecard ersetzt – ein Finanzdienstleister, der bisher „nur“ im TecDAX vertreten war.
Sie haben davon vielleicht schon aus diversen Medienberichten erfahren. Schließlich wurde diese Änderung (die schon länger erwartet wurde) seit ihrer offiziellen Bekanntgabe durch die Deutsche Börse Anfang September von den Finanzmedien ausführlich kommentiert.
Der DAX-Abstieg der Commerzbank – ein Desaster?
Dabei wurde irgendwie der Eindruck erweckt, als sei es eine Art Desaster, dass mit der Commerzbank ein weiteres der Gründungsmitglieder des DAX aus dem deutschen Leitindex ausscheidet. (Eigentlich sogar zwei, denn nachdem die Dresdner Bank – ein weiteres DAX-Gründungsmitglied – 2001 von der Allianz übernommen wurde, reichte diese sie 2008 an die Commerzbank weiter.)
Nun ist es allerdings ein völlig normaler Prozess, dass sich auch Unternehmen ändern: vergrößern, verkleinern, fusionieren, verkauft werden, ihren Namen ändern usw. Diese Normalität spiegelt sich dann irgendwann einfach nur in den entsprechenden Veränderungen eines Aktienindex wider – nicht mehr und nicht weniger.
Kontinuität oder Beharrungsvermögen – die Hälfte ist ja noch da!
Im Übrigen wird der DAX auch nach dem Ausscheiden der Commerzbank noch die Hälfte seiner Gründungsmitglieder bzw. deren Nachfolgegesellschaften enthalten: Allianz, BASF, Bayer, BMW, Daimler(-Benz), Deutsche Bank, Henkel, Linde, Lufthansa, RWE, Siemens, Thyssen(krupp), Volkswagen sowie E.ON (als Nachfolgegesellschaft von Veba und Viag).
Ein so hoher Anteil von Gründungsmitgliedern nach 30 Jahren einer wirtschaftlich extrem schnelllebigen Zeit deutet eher auf Kontinuität in der deutschen Wirtschaft hin – böse Zungen sagen auch „Beharrungsvermögen“. Das Ausscheiden der Commerzbank – die ohnehin seit längerem nur noch ein Schatten ihres früheren Selbst ist – muss man daher nicht bedauern. Zumal mit Wirecard ein moderner Zahlungsabwickler in den DAX aufrückt, der die jüngsten Umwälzungen in der Finanzbranche sehr gut reflektiert.
Sowohl-als-auch statt Entweder-oder
Doch dieser so emotional diskutierte Wechsel im DAX überlagert sehr viel bedeutsamere Änderungen in der deutschen Index-Landschaft, die ebenfalls am kommenden Montag in Kraft treten.
So wird die Deutsche Börse ihre bereits im Mai beschlossenen Regeländerungen für die DAX-Familie ändern und insbesondere die bisherige Trennung in die Segmente Tech und Classic aufheben. Das bedeutet, dass Technologieunternehmen, für die bisher der TecDAX reserviert war, auch in die größeren und kleineren DAX-Indizes (DAX, MDAX,SDAX) aufrücken können, wenn ihre Marktkapitalisierung das erlaubt. Bisher gab es da nur ein Entweder-Oder.
Eine völlig normale Regel
Umgekehrt gilt das natürlich genauso: Unternehmen aus DAX, MDAX oder SDAX können gleichzeitig im TecDAX notiert werden, wenn sie die entsprechenden Anforderungen erfüllen. Und so werden ab kommendem Montag mit Wirecard (die ja bisher schon im TecDAX war), SAP, Deutsche Telekom und Infineon gleich vier DAX-Unternehmen auch im TecDAX vertreten sein.
Das ist übrigens eine international völlig normale Regel. So sind ganze 84 Aktien des US-Technologie-Index NASDAQ 100 auch im US-Leitindex S&P 500 vertreten. Und vier davon – Apple, Cisco, Intel, Microsoft und Walgreens – sind darüber hinaus noch im Dow Jones vertreten.
Noch mehr „DAX-Aktien“!
Bedeutsam ist auch, dass die „kleinen“ Brüder des DAX – MDAX und SDAX – ab kommendem Montag vergrößert werden. So wird der MDAX statt bisher 50 dann 60 Mitglieder enthalten, der SDAX dann 70 (bisher: ebenfalls 50). Es wird also noch mehr „DAX-Aktien“ geben!
Das dürfte vor allem auf die Volatilität der Indizes bzw. deren Derivate (z.B. Fonds/ETFs, Zertifikate) Auswirkungen haben. Denn eine größere Anzahl von Aktien bedeutet schließlich eine größere Streuung, was in der Regel zu einem gleichmäßigeren (Index-)Verlauf führt.
Es ändert sich also ab nächste Woche eine ganze Menge in der deutschen Index-Landschaft. Erfreulicherweise hat die Deutsche Börse alle diese Änderungen in kompakter Form zusammengefasst, so dass ich Sie hier nicht mit ellenlangen Tabellen langweilen muss, sondern einfach auf die offizielle Übersicht verweisen kann.
Nichts Besonderes
Für den weiteren Kursverlauf der Indizes dürften diese Änderungen aber keine gravierenden Auswirkungen haben. Schließlich ist es ja das Prinzip der Indexbildung, dass „der Markt“ möglichst angemessen abgebildet wird. Und daran gemessen sind selbst diese recht umfangreichen Änderungen noch überschaubar.
Und im DAX selbst gab es ja nur den üblichen Tausch einer Aktie gegen die andere. Das ist etwas, dass in 30 Jahren bisher 41 Mal vorgekommen ist – also mindestens einmal pro Jahr oder im Durchschnitt rund viermal in drei Jahren. Ein ganz normaler Vorgang also, der den DAX noch nie aus der Ruhe gebracht hat.
Konzentrieren wir uns daher vorerst drauf, was der DAX bis zum Verfallstag am Freitag macht.