Der Bereinigungsprozess im Krypto-Markt ist offenbar längst noch nicht abgeschlossen. Bitcoin und Ethereum stabilisieren sich zwar, aber viele andere Krypto-Währungen stehen am Abgrund. Ist das Spiel vorbei?
Börsen-Zeitung: "Kryptomarkt läuft auf Grund", Kommentar von Alex Wehnert
Skeptiker sehen in der jüngsten Stabilisierung am Kryptomarkt nur einen kurzen Widerstand, bevor sich der Crash mit unverminderter Härte fortsetzt - und vieles spricht dafür, dass sie recht behalten. Denn die zwischenzeitliche Rückkehr der führenden Cyberdevise Bitcoin auf über 17 000 Dollar dürfte hauptsächlich auf die allgemein aufgehellte Investorenstimmung nach den jüngsten Äußerungen aus der Federal Reserve zurückzuführen sein und weniger auf ein verbessertes fundamentales Umfeld im Segment der digitalen Anlagen. Dass US-Notenbankchef Jerome Powell für die Dezembersitzung der Währungshüter eine Zinsanhebung um 50 Basispunkte in Aussicht stellte, weckt Hoffnungen auf einen nachlassenden Liquiditätsdruck an den Finanzmärkten.
Wie wichtig dies für Kryptowährungen als enorm spekulativ geprägte Assetklasse wäre, betont auch die Landesbank Hessen-Thüringen in ihrem Investmentausblick für 2023. So beschleunigte sich das Wachstum der Geldmenge M2 in den USA im Verlauf des Jahres 2020 zunehmend, im Februar 2021 belief es sich gegenüber dem Vorjahresmonat auf 26,9 %. Damit einher ging eine massive Rally digitaler Anlagen. Bitcoin erreichte Mitte April des vergangenen Jahres ein vorläufiges Rekordhoch von über 64 000 Dollar. Der anschließende Rücksetzer auf 30 000 Dollar bis Mitte Juli 2021 lief parallel zu einer Verlangsamung des Geldmengenwachstums auf 12 %.
Dass sich die führende Cyberdevise im Anschluss trotz einer weiteren Verknappung der Liquidität zu einer erneuten Rally aufschwang und im November 2021 ein Allzeithoch von 69 000 Dollar markierte, war laut Analysten vor allem einem Sonderfaktor geschuldet: der Aussicht auf die Einführung Futures-basierter Bitcoin-ETFs in den USA, die Mitte Oktober des vergangenen Jahres Realität wurde. Dass Passivvehikel auf Digitalwährungen im wichtigsten Finanzmarkt der Welt Zulassung fanden, ließ Krypto-Enthusiasten auf eine beschleunigte Adoption durch institutionelle Investoren hoffen.
Diese Hoffnung hat sich infolge des Zusammenbruchs der Kryptobörse FTX nun krachend zerschlagen. Denn die Handelsplattform galt als einer der wenigen stabilen Anker im durch enorme Volatilität geprägten Segment, ihr Kollaps bringt auch eine Reihe weiterer Digital-Assets-Dienstleister in enorme Bedrängnis.
Zudem zog FTX zahlungskräftige Venture-Geldgeber an. Doch Investoren wie der singapurische Staatsfonds Temasek, Softbank oder der Hedgefonds Tiger Global verbrannten sich durch die FTX-Insolvenz die Finger und dürften daher auch künftig vor Krypto-Anlagen zurückschrecken. Erschwerend kommt dabei hinzu, dass der Großteil der Marktteilnehmer noch immer nicht zwischen verschiedenen Blockchain-Anwendungen und Cyberdevisen unterscheidet, sondern digitale Assets über einen Kamm schert, wie selbst Branchenvertreter einräumen.
Für Kryptowährungen dürfte damit laut Analysten eine wieder steigende Liquiditätszufuhr an den breiten Finanzmärkten umso entscheidender werden. Auch dass US-Konjunkturdaten wie der Einkaufsmanagerindex für die Industrie zuletzt schwächer ausgefallen sind als erwartet, zieht Spekulationen nach sich, die Fed könne schon in Kürze eine vorsichtigere Gangart einschlagen, um keine schwere Rezession zu riskieren.
Allerdings vergessen Krypto-Investoren dabei gerne, dass auch eine Leitzinserhöhung um 50 Basispunkte in die Spanne von 4,25 bis 4,5 % immer noch einen deutlich restriktiven Kurs bedeuten würde. Zudem betonte Powell jüngst auch, dass die Fed im Ringen um Preisstabilität noch einen langen Weg zu gehen habe. Doch selbst wenn die US-Währungshüter im kommenden Jahr umschwenken sollten, würde die steigende Liquiditätsflut wohl nicht mehr alle Boote heben - denn der Markt für digitale Anlagen könnte bis dahin schon unrettbar auf Grund gelaufen sein.