Der Chinese macht keine halben Sachen. Alles muss perfekt sein. Schanghai präsentiert sich als „Paris des Ostens“ – allerdings mit kleinen Schönheitsfehlern. Offizielles Ziel der kommunistischen Führung ist bekanntlich immer noch die Einklassengesellschaft. Doch davon ist nicht mehr viel übrig geblieben.
In Schanghai: Selbstbildnis mit Einheimischen
Nein, ich fahre nicht mit dem Transrapid in Zentrum von Schanghai. Ich nehme ein Taxi. Der Grund: Regen und Taxiknappheit in der Stadt.
Schanghai empfängt mich grau in grau. Tropisch schwüle Luft, alles ist feucht, es hängt ein dichter Nebelschleier über den Häusern, es tröpfelt vom Himmel. Sechspurige Autobahnen. Verkehr wie in jeder westlichen Großstadt. Erster Eindruck: verdammt nebelig hier. Wundert ein wenig, denn es ist 33 Grad – eigentlich keine Temperatur, bei der Nebel entsteht.
Große Alleen führen in die Stadt. Kaum Reklame. Eine Wohltat für’s Auge. Anderes Bild dagegen in der Innenstadt. Riesige Shopping-Malls bestimmen das Bild. Soll das Kommunismus sein?
Der Chinese macht keine halben Sachen. Alles muss perfekt sein. Schanghai präsentiert sich als „Paris des Ostens“ – allerdings mit kleinen Schönheitsfehlern. Offizielles Ziel der kommunistischen Führung ist bekanntlich immer noch die Einklassengesellschaft. Doch davon ist nicht mehr viel übrig geblieben, wenn bei Tiffany in Schanghai die Renmimbi in dicken Bündeln über den Tisch gehen.
Die Welt des Konsums ist gut aufgeteilt in Schanghai: Ganz oben stehen die Einkaufszentren für Nobelmarken: Tiffany, Channel etc. – dann kommt das Angebot für die neue Mittelschicht: H&M & C&A. – schließlich die lokalen Märkte, wo auch der chinesische Wanderarbeiter dem Segen des Kapitalismus frönen kann.
Der goldene Westen und seine bunten Verlockungen – da kann auch der kommunistischste Chinese nicht widerstehen – und Mao würde sich im Grab rumdrehen. China: Chance vertan! Manchesterkapitalismus im Reich der Mitte. Totale Kapitulation gegenüber Coca Cola & Co.
Weil man aber mit einem 100 Euro 12 Stunden Job nicht in Original-Adidas rumlaufen kann, gibt es die Fake-Markets, Märkte auf denen sehr gute Fälschungen des Marken-Tands feilgeboten werden. Hut ab! Das Original ist kaum von der Fälschung zu unterscheiden. Pfiffig und perfekt, die Chinesen!
Was sollen sie auch anderes machen? Radio und TV unterscheiden sich in ihrem Werbegedudel kaum von westlichen Medien. Sogar für Mercedes läuft Reklame. Das Reich der Mitte – ein unendlicher Markt! Und in China ist alles aus dem Westen willkommen, der Tourist wird neugierig beäugt. Der Traum eines jeden Chinesen: Einmal nach Europa!
Emsig und fleißig sind sie, und außerordentlich intelligent. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis China mit seinen Milliarden Menschen die Weltherrschaft übernimmt. In der Zwischenzeit malocht sich die Arbeiterklasse zu Tode und die Fabriken ruinieren die Umwelt. Denn in Schanghai scheint selten die Sonne. Der Himmel ist immer diesig und grau. Dafür sorgen die Schornsteine vor den Toren der Stadt.
Die Menschen arbeiten hier rund 12 Stunden am Tag, bis zum umfallen. Einige schlafen auf Bänken oder mitten auf dem Bürgersteig. Andere nächtigen in provisorischen Zelten im Park. Wie man mit so wenig Geld den Verlockungen des bunten Kapitalismus widerstehen kann, ist eines der ungelösten Rätsel der politischen Führung.
Aber Proteste gibt es nicht. Auf Nachfrage vermisst hier auch niemand die Demokratie. Ob das wirklich stimmt, kann ich nicht beurteilen. Aber eigentlich ist der Unterschied auch ohne Demokratie nicht groß zum Westen. Wer durch Schanghai schlendert, kann jedenfalls keinen großen Unterschied feststellen.
Dass Facebook in China gesperrt ist, finde ich gut. Allerdings auch Twitter scheint im Reich der Mitte nicht zu existieren. Suchen bei Google scheint irgendwie zu funktionieren. Der Newsbereich ist jedoch gleichgeschaltet. Man kann sich nicht in andere Länder einwählen.
Das kümmert die Chinesen offenbar nicht. Abends um sechs ist Essenszeit. Hat sich so eingebürgert, denn die Restaurants schließen schon um 22 Uhr.
Um 23Uhr30 geht das Licht aus in Schanghai. Neonreklame an Hochhäusern erlischt, am Prachtboulevard wird’s dunkel. Dann schlafen die Chinesen – denn für die meisten beginnt der neue Arbeitstag schon um 5 Uhr morgens.