Das umstrittene bayerische Verfassungsschutzgesetz ist teilweise nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Das geht aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dienstag hervor. Demnach verstoßen die dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz eingeräumten Befugnisse teilweise gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Schutz der informationellen Selbstbestimmung, teilweise in seiner Ausprägung als Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, teilweise gegen das Fernmeldegeheimnis und teilweise gegen die Unverletzlichkeit der Wohnung.
So sei zum Beispiel die Wohnraumüberwachung (Art. 9 Abs. 1 BayVSG) verfassungswidrig, weil die Befugnis zwar im Grunde hinreichende Eingriffsvoraussetzungen bestimme ("dringende Gefahr"), jedoch nicht auf das Ziel der "Abwehr" einer Gefahr ausgerichtet sei und weil die erforderliche Regelung zur Subsidiarität gegenüber Gefahrenabwehrmaßnahmen der Gefahrenabwehrbehörden fehle. Außerdem seien die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Kernbereichsschutz bei Wohnraumüberwachungen weder für die Erhebungsebene noch für die Auswertungsebene vollständig erfüllt. Der Artikel zu Online-Durchsuchungen sei verfassungswidrig, weil die Befugnis durch den Verweis auf Artikel 9 Absatz 1 BayVSG dessen Mängel weitgehend teile, so die Karlsruher Richter.
Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Kernbereichsschutz seien zwar für die Erhebungsebene erfüllt, nicht aber für die Auswertungsebene. Die Ortung von Mobilfunkendgeräten (Art. 12 Abs. 1 BayVSG) sei zudem verfassungswidrig, weil die Befugnis so weit gefasst sei, dass sie auch eine langandauernde Überwachung der Bewegungen der Betroffenen erlaube ("Bewegungsprofil"), ohne den dafür geltenden verfassungsrechtlichen Anforderungen zu genügen. Die Regelung sehe insoweit keine hinreichend bestimmten Eingriffsvoraussetzungen vor, und es fehle die erforderliche unabhängige Vorabkontrolle.
Der Bereich "Auskunft über Verkehrsdaten aus Vorratsdatenspeicherung" (Art. 15 Abs. 3 BayVSG) verstoße unterdessen gegen das Gebot der Normenklarheit. Art. 18 Abs. 1 BayVSG ("Verdeckte Mitarbeiter") und Art. 19 Abs. 1 BayVSG ("Vertrauensleute") seien verfassungswidrig, weil keine hinreichenden Eingriffsschwellen geregelt seien und eine Bestimmung fehle, die den Kreis zulässiger Überwachungsadressaten begrenzend regele, sofern der Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern oder Vertrauensleuten gezielt gegen bestimmte Personen gerichtet sei, so das Verfassungsgericht weiter. Außerdem fehle es an der erforderlichen unabhängigen Vorabkontrolle. Art. 19a Abs. 1 BayVSG ("Observation außerhalb der Wohnung") sei verfassungswidrig, weil die Befugnis für den Fall besonders eingriffsintensiver Observationen nicht hinreichend bestimmt auf Bestrebungen oder Tätigkeiten von besonders gesteigerter Überwachungsbedürftigkeit beschränkt sei und es auch hier an einer unabhängigen Vorabkontrolle fehle.
Soweit die Übermittlungsbestimmungen des Art. 25 BayVSG ("Informationsübermittlung durch das Landesamt") zulässig angegriffen sind, genügten sie nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Zum Teil ziele die Übermittlung nicht auf den Schutz hinreichend gewichtiger Rechtsgüter, zum Teil seien keine hinreichenden Übermittlungsschwellen vorgesehen. Die Weiterverarbeitungs- und Übermittlungsbefugnis des Art. 8b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BayVSG ("Daten aus Wohnraumüberwachung und Online-Durchsuchung") sei wegen einer unzulässigen dynamischen Verweisung auf Bundesrecht verfassungswidrig.
Das gelte auch für Art. 8b Abs. 3 BayVSG ("Daten aus Auskunftsersuchen"); außerdem verstießen dessen vielgliedrige Verweisungsketten gegen das Gebot der Normenklarheit, so die Karlsruher Richter. Art. 15 Abs. 3 BayVSG sei nichtig. Im Übrigen seien die beanstandeten Vorschriften lediglich mit der Verfassung unvereinbar und gelten vorübergehend - mit Blick auf die betroffenen Grundrechte jedoch nach einschränkenden Maßgaben - bis zum Ablauf des 31. Juli 2023 fort, so das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 26. April 2022 - 1 BvR 1619/17).
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