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AfD im Bundestag - und was nun?

Es ist weit mehr passiert und es passiert auch weit mehr in der deutschen Politik und in den Parlamenten als der Einzug einer rechten Partei in die Plenarsäle. Das ganze System gerät aus den Fugen.

 

DK | Dafür, dass seit dem 24. Oktober 2017 „Nazis“ (Außenminister Sigmar Gabriel, SPD) beziehungsweise „rechtsradikale Arschlöcher“ (Johannes Kahrs, SPD) im Bundestag zu finden sind, wie die „Schande für Deutschland“ (Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, CDU) auch bezeichnet wird, verlief die konstituierende Sitzung verhältnismäßig unaufgeregt. Die deutsche Qualitätspresse musste die Dinge schon mächtig uminterpretieren und biegen, um den vorhergesagten „Eklat“ durch das Auftreten der AfD-Fraktion bestätigt zu finden.

Peinlich waren nicht Auftritte von AfD-Politikern, sondern allein der Auftritt des Alterspräsidenten Hermann Otto Solms (FDP), der es gar nicht fassen konnte, nach vierjähriger (verdienter) Zwangspause wieder im Plenarsaal sein zu dürfen (und danach wie früher in der verschwiegenen Abgeordneten-Kneipe im Keller der benachbarten Parlamentarischen Gesellschaft zu verschwinden). Solms in seiner Rede als Alterspräsident: „Ich freue mich ganz außerordentlich, dass gerade ich als Mitglied der Fraktion der Freien Demokraten die Sitzungsperiode des 19. Deutschen Bundestages eröffnen darf. Nach vier schwierigen Jahren in der außerparlamentarischen Opposition haben wir das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler zurückgewonnen. Jetzt können wir der liberalen Stimme im Deutschen Bundestag wieder Gehör verschaffen. Und das war auch unser Ziel.“

Wir stellen uns kurz vor, Wilhelm von Gottberg (AfD), dem die Blockparteien mit Geschäftsordnungstricks schon zum Schluss der letzten Legislaturperiode die Alterspräsidentschaft nahmen, hätte so über die Rückkehr nationaler Kräfte in den Bundestag jubiliert.

Claudia „Fatima“ Roth wäre in Ohnmacht gefallen, die anderen Blockparteien-Vertreter wären von den Stühlen gesprungen. Es stimmt schon: Alle elf Minuten verliebt sich ein Liberaler in sich selbst. Und der Narzissmus erfasst nicht nur junge Liberale wie Christian Lindner, sondern auch alte wie Solms.

Der narzisstische Solms-Auftritt war der Eklat der konstituierenden Sitzung. Für deutsche Qualitätsjournalisten spielte der jedoch keine Rolle. Für sie bestand der „Eklat“ darin, dass die AfD den wegen einer (harmlosen) Äußerung zum Islam kritisierten Albrecht Glaser drei Mal zum Vizepräsidenten kandidieren ließ. Das sahen zum Beispiel die „Augsburger Allgemeine“ und „faz.net“, der Online-Auftritt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, so. T-online toppte alles und titelte: „Bundestag startet mit Eklat – Dreifach-Pleite für AfD“.

Erwartungsgemäß wurde Glaser nicht gewählt. Warum die Inanspruchnahme ihrer Rechte durch eine Fraktion (die von der Geschäftsordnung ausdrücklich so beschrieben werden) ein Eklat sein soll, formulierte Qualitätsjournalistin Tatjana Heid (faz.net) so: Glasers Durchfallen „war ein Eklat mit Ansage. Wir gegen die, das ist das Signal.“

Hinter solchen Formulierungen wie von Heid steckt keine Dummheit, sondern eine gefährliche Geisteshaltung: Danach darf nur noch ein Kandidat antreten, der sich der Unterstützung des Demokratischen Blocks sicher sein kann. Oppositions- oder Kandidaturen gegen das System sind aus dieser Sicht natürlich ein „Eklat“.

In Wirklichkeit, aber das hat Heid in ihrer stalinistischen Tagträumerei nicht mehr gemerkt, zeigten die Ergebnisse von Glaser mehr: So fest zementiert ist die Front der Blockparteien doch nicht, wie der politisch-mediale Komplex uns das weismachen will.

Es gibt erste Risse. Glaser erhielt nicht nur die 92 Stimmen seiner Fraktion, sondern im ersten Wahlgang 23 Stimmen aus anderen Fraktionen, im zweiten Wahlgang sogar 31 und im dritten, als sich die Reihen bereits gelichtet hatten, noch 22 Stimmen. Das straft alle Journalisten Lügen, die bis kurz vor Sitzungsbeginn geschrieben hatten, 87 Prozent der Abgeordneten seien gegen die AfD.

Die AfD kann den Tag der Konstituierung als Erfolg für sich verbuchen: Sie steht im Deutschen Bundestag nicht alleine da.

Ein Desaster war die konstituierende Sitzung hingegen für Schäuble. Mit versteinerter Miene nahm er sein Wahlergebnis zur Kenntnis. Mit 501 von 705 abgegebenen Stimmen fuhr der „AfD-Dompteur“ (Süddeutsche Zeitung) das schlechteste Ergebnis seit Hermann Ehlers (CDU) ein. Ehlers kandidierte 1950.

Das alles zeigt: Es ist weit mehr passiert und es passiert auch weit mehr in der deutschen Politik und in den Parlamenten als der Einzug einer rechten Partei in die Plenarsäle. Das ganze System gerät aus den Fugen. Die Erschütterungen sind überall zu spüren.

Deutsche Qualitätsjournalisten, die nur von einem Sekt-Empfang in Berlin-Mitte zum nächsten radeln und das für Recherchieren halten, werden von den kommenden Verwerfungen und den neuen Brüchen vermutlich so überrascht werden wie einst die DDR-Nomenklatura vom Mauerfall.

spoekenkiekerei.wordpress.com

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