Lampedusa: Verlogenheit der Herrschenden. Wenn das Problem des Einwanderungsdrucks auf Europa nicht lösbar wäre, brauchte man sich über die aktuelle Verlogenheit der herrschenden Kräfte nicht aufzuregen. Es gibt aber diese Lösungen.
Von Rolf Ehlers
Über das Massensterben vor Lampedusa berichtet niemand gern. Selbst kritische Medien schweigen zu diesem Thema. Nicht weil sie sprachlos sind ob der vielen Toten unter den Bootsflüchtlingen, die es nicht bis Europa geschafft haben. Immerhin zwang die Größe des Ereignisses die etablierten Medien, die Politik und die Kirchen, öffentlich über das Ausmaß zu lamentieren und mal wieder darüber zu berichten, dass an Europas Südflanke etwas im Argen ist. Es durften eben nicht wie sonst so oft nur lumpige 50 Tote sein, die es nicht bis Italiens Vorposten Lampedusa geschafft haben, um diese Reaktion hervorzurufen. An den Gesichtern der Sprecher und Moderatoren im Fernsehen konnte man ablesen, dass die Wahrnehmungsschwelle erst bei 85 Toten erreicht war.
Aber natürlich gehen die etablierten Kräfte mit keinem Wort darauf ein, was denn zu tun wäre, um solche Dramen künftig zu vermeiden. Es wird nur gesagt, dass Europa „mehr“ tun müsste und dass die nördlichen Mitgliedsländer den vor Ort unmittelbar betroffenen „helfen“ müssten. Aber es will doch niemand etwas ändern am Regime der FRONTEX! Im Gegenteil: Die Frontex-Söldner-Truppe soll mit allen, auch den härtesten, Mitteln verhindern, dass weitere Menschen aus den Problemzonen der Welt in Europa eindringen und unsere Ruhe stören. An den Südflanken Europas hat sich schon eine so massive Jugendarbeitslosigkeit eingerichtet, dass neue soziale Belastungen durch die Aufnahme von Hilfebedürftigen aus fremden Ländern einfach untragbar erscheinen. Gerade diese Länder werden, nachdem sie von korrupten Banken dazu verleitet wurden, mit dem Geld zu asen, und durch die Rettung gerade dieser Banken maßlos verschuldet sind, von den scheinbar nicht so betroffenen Ländern im Norden und von der Weltbank gezwungen, mit allen Mitteln zu sparen. Geld zur Alimentierung von Asylanten ist nicht da.
An den Südgrenzen soll es unbedingt weiter gehen wie bisher. Wenn es bei den vergeblichen Versuchen, in den Schengen-Raum einzudringen, Tote zu beklagen gibt, soll das nur nicht auffallen. Niemand will die Aufnahmequote für Asylanten, erst recht für sog. Wirtschaftsflüchtlinge erhöhen, auch wenn sie sich in ihren Ländern kaum noch ernähren können. Eine Erhöhung des Anteils an Flüchtlingen würde den natürlichen Egoismus der eingesessenen Bürger Europas auf den Plan rufen, die dann andere Träger des politischen Willens in die Parlamente wählen würden. Schließlich ist die Wahl der Volksvertreter die einzige Partizipation der Bürger an der Politik ihrer Länder.
Wenn das Problem des Einwanderungsdrucks auf Europa nicht lösbar wäre, brauchte man sich über die aktuelle Verlogenheit der herrschenden Kräfte nicht aufzuregen. Es gibt aber diese Lösungen. Tatsächlich erfordern sie jedoch einen sehr großen Aufwand. Europa muss sich mit den angrenzenden Ländern zusammensetzen und Hilfen geben, die es den Menschen ermöglichen, ein gutes Leben in ihren Ländern zu leben. Man muss dabei ins Detail gehen. Die Märkte dürfen nicht mit Billigprodukten überschüttet werden. Die Bauern müssen mit ihrem eigenen Saatgut wirtschaften können, usw..
Auch müssen dezentral alternative Energiequellen genutzt werden – ohne dass Ölkonzerne und Stromriesen wieder nur ihre Gewinne erhöhen. Vor allem aber muss Europa in seinem Vorgarten für Frieden sorgen. Europa muss auch den USA klar machen, dass seine Interventionen nicht weiter akzeptiert werden. Als Russland Raketen auf Kuba stationierte, blieb Kennedy bis zur Grenze des Eintritts in den Atomkrieg knochenhart. Die südlichen Anrainer des Mittelmeeres befinden sich ebenso in delikater Nähe zu Europa wie Kuba zu Florida. Und da sollen wir zusehen, wie die amerikanische Regierung in Libyen, Ägypten, Syrien, Libanon und Jordanien herumtrickst und mit Israel zusammen einen Waffengang gegen den Iran diskutiert? Wenn wir schon im falschen Film sitzen, sollten wir das auch sagen!
Wie würden die Völker selbst wohl per Volksentscheid an das Zuwanderungs- und Flüchtlingsproblem im Süden herangehen? Ich nehme an, dass die erste Reaktion eine radikale Abwehr weiterer Öffnung der Grenzen und der Beibehaltung der jetzigen Situation sein würde. Nach und nach würde aber die Öffnung für Lösungen folgen, die wirksam in die Herkunftsländer der Hilfesuchenden hineinreichen würde. Insbesondere würden die Völker Europas selbst nicht so locker die Unruhen in Nordafrika und Arabien schüren. Hätte man immer die Völker gefragt, wäre die Geschichte der Menschheit ohne Frage um viele historische Großereignisse ärmer. Ohne Alexander den Großen wären die Griechen nicht über alle Länder des Orients hergefallen. Ohne Dschingis Khan hätten die Mongolen ihre Macht nicht bis Westeuropa auszudehnen gesucht. Frankreich ohne Napoleon hätte nicht versucht, Europa unter seine Knute zu bringen wie Deutschland auch nicht ohne den einzigen Diktator seiner Geschichte (den wir uns auch noch von den Österreichern holen mussten). Welcher preußische Untertan wollte schon unter dem großen Friedrich ins damals österreichische friedliche Schlesien einmarschieren? Ohne den Eigensinn Wilhelms II. hätte es wohl nicht den 1.Weltkrieg gegeben. Und welcher Amerikaner hätte denn alle Welt bewusst über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak belogen und wäre dort unter Verletzung des Völkerrechts einmarschiert? Deutschland zieht ergebnislos aus Kundus ab und überlässt den Taliban das Terrain. Hätte es eine Mehrheit in Deutschland für den Einsatz der Bundeswehr dort gegeben? Oder etwa dafür, dass jetzt deutsche Soldaten an der syrischen Grenze stehen? Man soll doch nicht mit der angeblichen Dummheit des Volkes kommen, wo die maßgebenden Träger der Staatsgewalt in der Monarchie wie in der republikanischen repräsentativen Demokratie zu allen Zeiten regelmäßig nachgewiesen haben, dass sie das von ihnen beanspruchte Vertrauen in ihre Klugheit, Verantwortlichkeit und Ehrlichkeit nicht verdient haben.
Aber noch stellt sich diese Frage nach dem Volkswillen nicht, weil die modernen „Fürsten“, die einmal vom Volk in ihre Ämter berufen wurden, eine Ausweitung der Partizipation der Bürger an den wichtigen Entscheidungen bewusst zu verhindern wissen. Ihr Hauptargument ist, dass das Volk zu blöd wäre. In der CDU ist der sich gern liberal gebende Wofgang Bosbach („cremig bleiben, Frau Illner“) für das Thema Volksentscheidungen zuständig und spricht sich tatsächlich dagegen aus, weil er ganz offen das Volk für zu blöde hält. Wenigsten vertritt er die Meinung, dass eine weitere Kompetenzverlagerung der deutschen Staatsmacht nach Brüssel ohne Zustimmung des Volkes verfassungswidrig wäre.
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In diesem Sinne hatte sich allerdings auch schon das Bundesverfassungsgericht bemerkbar gemacht, das folgerichtig unter allen Institutionen unseres Staates das höchste Ansehen im Volke genießt: http://deutsche-wirtschafts- Der Philosoph Karl Jaspers sagte in den 50er Jahren, dass die Demokratie die Vernunft im Volk voraussetze, die sie erst hervorbringen muss. Das war damals eher kritisch gemeint. Wir haben seither aber lange genug eine formale Demokratie ohne sachliche Beteiligung des Volkes erlebt. Inzwischen ist im Volk das Verlangen nach mehr Demokratie immer stärker geworden. Auch haben die Jahre von Adenauer und Erhard über Brandt, Schmidt und Strauß bis zu Kohl, Schröder und Merkel das politische Bewusstsein der Bürger deutlich geschärft. Wir brauchen keine Volksvertreter mehr, die meinen, uns bevormunden zu müssen! Warum aber gehen die europäischen Staaten die wirklichen Lösungen des Einwanderungsproblems nach Europa wie die Vermeidung von Konflikten in Afrika und Nahost sowie die Hilfe beim Wirtschaftsaufbau in den Herkunftsländern der Flüchtlinge nicht an? Dem stehen strategische, militärische und wirtschaftliche Interessen der großen Mächte und der globalen Konzerne entgegen, gegen die die Regierungen längst „den Krieg verloren“ haben. Also setzen Politik und Medien wieder darauf, einfach die Misere zu beklagen, ohne Lösungen auch nur anzudeuten. Erst wenn sie abgewählt werden können, weil sie den klaren Willen der Gewählten nicht befolgen, endet die Gefolgschaft der Regierungen gegenüber Dritten. Das Volk kann man zwar auch in der direkten Demokratie belügen. Mundtot kriegt man es nicht. Es ist da auch beileibe nicht so leicht erpressbar wie die gewählten Volksvertreter und die von ihnen eingesetzten Regierungen.“