Die Gaspreise sind im Vergleich zum Vorjahr um über 300 % gestiegen. Wegen Rubel: Russland dreht den Niederlanden den Gashahn zu. EU will Energie-Embargo ohne Rücksicht auf Verluste. Ostdeutsche Raffinerie Schwedt will Ausnahme.
Gas +301%
Die Importpreise in Deutschland steigen immer schneller.: Energieeinfuhren waren um 157,4 Prozent teurer als im April 2021. Der hohe Anstieg im Vorjahresvergleich ist weiterhin vor allem durch die stark gestiegenen Preise für Erdgas begründet. Diese lagen im April 2022 viermal so hoch wie im April 2021 (+301,2 Prozent).
Russland dreht Niederlanden den Gashahn zu
Der russische Energiekonzern Gazprom will die Gas-Lieferungen an den niederländischen Versorger GasTerra ab Dienstag einstellen. GasTerra habe entschieden, "den einseitigen Zahlungsanforderungen von Gazprom nicht nachzukommen", teilte das Unternehmen am Montag mit. Gemeint ist damit das Ende März herausgegebene Dekret von Russlands Präsident Putin, wonach Gas in Rubel bezahlt werden muss.
Schwedt fordert Ausnahme der Raffinerie von Öl-Embargo
Die kritische Situation um die PCK-Raffinerie im brandenburgischen Schwedt veranlasst die Bürgermeisterin des Ortes zu einer eindringlichen Warnung. "Das Misstrauen gegenüber der Bundesregierung ist groß", sagte Annekathrin Hoppe (SPD) dem "Handelsblatt" (Dienstagausgabe). Sie wirbt dafür, dass der Standort vom geplanten Ölembargo ausgenommen wird, das bis zum Jahresende vollzogen werden soll. "Wenn der Bundesregierung etwas an der Region und der sicheren Versorgung liegt, wäre 2030 eine sinnvolle Zielmarke", erklärte sie.
Auf EU-Ebene wird derzeit diskutiert, Pipeline-Öl vom geplanten Embargo auszunehmen, wovon auch Schwedt profitieren könnte. Deutschland erhält noch rund zwölf Prozent seiner Ölimporte aus Russland, nahezu alles davon landet in Schwedt an der Oder. Die Bundesregierung sucht derzeit nach neuen Lieferwegen für die Raffinerie, etwa über Rostock. So könnte die Raffinerie aktuell aber wohl nur zu etwa 60 Prozent mit Rohöl versorgt werden. Das hätte laut Hoppe immense Auswirkungen auf den Raffineriebetrieb.
Kollaps
Es sei unmöglich, die Raffinerie für den Übergang nur mit 60 Prozent des Öls zu betreiben. "Das kann nicht funktionieren. Es käme unweigerlich zum Stillstand", sagte sie. Auch die von der Bundesregierung angekündigten Finanzhilfen sieht Hoppe kritisch. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte Zuschüsse vergleichbar zu den Kohleregionen in der Lausitz versprochen. "Dort hat man jahrelang Vorbereitungszeit, bei uns soll jetzt einfach alles Hals über Kopf laufen", kritisierte Hoppe.
Scholz sieht Einigungschancen bei Öl-Embargo
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich vor dem EU-Gipfel in Brüssel zuversichtlich gezeigt, dass es zu einer Einigung im Streit über ein europäisches Öl-Embargo gegen Russland kommen kann. Es spreche alles dafür, "dass man sich zusammenfindet", sagte Scholz. "Niemand kann vorhersagen, ob es dann tatsächlich der Fall sein wird. Aber alles, was ich höre, klingt danach, als ob es einen Konsens geben könnte." Ein Kompromissvorschlag der EU-Kommission sieht vor, vorerst nur die Einfuhr von per Schiff transportiertem Öl auslaufen zu lassen. Das bislang die Embargo-Pläne blockierende Ungarn könnte sich demnach weiterhin über die Druschba-Pipeline mit Öl versorgen.
Evonik gegen Gas-Embargo vor 2024
Evonik-Chef Christian Kullmann warnt erneut vor einem raschen Gas-Embargo. "Sanktionen haben noch nie ein System ins Wanken gebracht", sagte Kullmann der "Rheinischen Post". "Die Verluste an Wohlstand, Wertschöpfung und Arbeitsplätzen wären dramatisch." Aus Sicht der Chemie gilt: "Ein Gas-Embargo ist Mitte 2024 verkraftbar", so Kullmann. Er betont, dass die Chemieindustrie natürlich das Primat der Politiker respektiere, aber: Sanktionen hätten auch nicht das Ende der Regierungen in Syrien oder Venezuela bewirkt. "Die russische Bevölkerung ist nicht unser Feind, das ist Putin", betonte er. Daher habe Evonik seine Geschäfte in Russland nicht abrupt beendet.