Anders als vom politisch-medialen Komplex hochgekocht, interessieren sich die Autokäufer kaum für das "was hinten rauskommt" - denn PKW waren noch nie so sauber wie heute. Doch nun greift die Politik zur Diesel-Waffe. Das könnte zum Problem werden.
Börsen-Zeitung: "Ungeduld", Kommentar zu VW von Carsten Steevens
Bei Volkswagen herrscht Ungeduld. Die Staatsanwaltschaften ließen sich mit den Ermittlungen im Zuge des Dieselabgasbetrugs Zeit, klagte Konzernchef Matthias Müller in der Bilanzpressekonferenz. Weder aus Braunschweig noch aus München oder Stuttgart gebe es bislang Untersuchungsergebnisse. Mehr Klarheit aber an den diversen juristischen Fronten hätte der Konzern, der nach den Vergleichen in Nordamerika weiter ist, gerne. Nach wie vor hat es Volkswagen mit Milliarden-Klagen von Investoren und Kunden zu tun.
Die Frage, wie viel die Abgaskrise am Ende kosten wird, könnte noch auf Jahre unbeantwortet bleiben. Das zementiert Unsicherheit in einer Phase, in der die Autohersteller mit zig Milliarden ihren Wandel in Richtung Elektromobilität, autonomem Fahren und neuen Mobilitätsdiensten forcieren müssen.
Dabei zeigt die - vor allem in Deutschland geführte - Debatte über die Zukunft des Diesel, der noch gebraucht wird, um den Übergang ins neue Mobilitätszeitalter zu finanzieren und keine Strafen wegen Verstößen gegen strengere Klimaschutzauflagen zahlen zu müssen, sowie die Gefahr eines Handelskriegs Europas mit den USA, dass es gerade aktuell eine Reihe ungemütlicher Entwicklungen gibt, die die Autoindustrie belasten.
Ungeduldig ist man bei Volkswagen auch deshalb, weil der im Herbst 2015 aufgeflogene Abgasbetrug - laut Vorstandschef Müller wohl der größte Rückschlag in der Unternehmensgeschichte - im operativen Geschäft offenbar so gut wie keine Rolle (mehr) spielt.
Der 2017 erzielte Absatzrekord, aber auch die Bestmarken bei Umsatz und operativem Ergebnis sind dafür Belege. Dass die Kunden den Marken des Konzerns die Treue halten, hob Müller gestern nicht von ungefähr als besonders wichtig hervor.
Dies gerade auch vor dem Hintergrund, dass Volkswagen bei der Förderung einer neuen Unternehmenskultur - auch eines der Ziele der 2016 aufgestellten Konzernstrategie bis 2025 - noch nicht weit vorangekommen ist. Rückschläge, die Reputation, Ratings und nicht zuletzt die Attraktivität als Arbeitgeber tangieren, haben in den vergangenen zwölf Monaten deutlich werden lassen, dass Kulturveränderungen in Großunternehmen Zeit und Ausdauer erfordern.
Auch finanziell hat Volkswagen die Abgaskrise überraschend gut verkraftet. Die Nettoliquidität im Automobilbereich lag trotz des Abflusses von inzwischen über 19 Mrd. Euro Ende 2017 nur um 2 Mrd. Euro unter dem Niveau von Ende 2015. "Dieselgate" wird Volkswagen aber nicht so schnell loslassen.