Margrethe Vestager, Vizepräsidentin der EU-Kommission, warnt im Interview mit dem SPIEGEL in scharfen Worten vor der Macht von Internet-Plattformen.
»Soziale Netzwerke sind ein systemisches Risiko für die Demokratie«, sagte Vestager mit Blick auf die Erstürmung des Kapitols in Washington durch Anhänger des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump.
Die Entscheidung von Twitter, Trumps Konto zu sperren, bezeichnete Vestager als nachvollziehbar. »Wenn die Demokratie in Gefahr ist, weil jemand zu einem Putsch aufruft, muss gehandelt werden. Dann ist es geradezu Bürgerpflicht, entsprechende Entscheidungen zu treffen.«
Die Dänin, in der EU-Kommission zuständig für Wettbewerb und Digitales, widerspricht damit Bundeskanzlerin Angela Merkel, die den Trump-Bann auf Twitter als »problematisch« und als Aufgabe für den Gesetzgeber bezeichnet hat. »Wir müssen aufpassen, dass wir die Regierungen nicht zum Zensor des Netzes machen«, so Vestager. Stattdessen müssten die Plattformen »eine gewisse Verantwortung übernehmen, was auf ihren Seiten los ist«. Geschulte Kontrolleure aus Behörden oder Nichtregierungsorganisationen, sogenannte Trusted Flagger, sollten das Netz auf unerlaubte Inhalte untersuchen und ihre Befunde den Plattformen mitteilen.
Upload-Filter seien dagegen der falsche Weg, sagte Vestager: »Diese Filter könnten zu einer Gefahr für die Redefreiheit werden.« Offene Gesellschaften müssten sich darüber verständigen, was noch zulässige Meinungsäußerung sei und wo die gefährliche Hassrede beginne. »Das ist ein aufwendiger Prozess, den wir nicht Automaten überlassen dürfen.«
Vestager wandte sich zugleich gegen Forderungen, Internetplattformen ähnlich wie Medien zu regulieren. »Die redaktionelle Verantwortung einer Zeitung oder eines Fernsehsenders ist etwas ganz anderes als die Aufgaben, die wir den Internetkonzernen zuweisen«, sagte Vestager. »Wir wollen die Netzgemeinde vor gefährlichen und illegalen Inhalten schützen. Aber zugleich müssen wir sicherstellen, dass sich Millionen Menschen frei und ungehindert auf den Plattformen bewegen und ausdrücken können.«