Das „Instituto Nacional de Estadística“, die spanische Statistikbehörde, teilte mit, dass allein im vergangenen Jahr rund 125.000 Spanier ihrem Land den Rücken gekehrt haben. Auch aus den baltischen Staaten wandern immer mehr Bürger aus.
Von Uli Gellermann
Die Iren überholen die Deutschen! Nein, nicht im Biertrinken. Irland hat sich im Ranking der wettbewerbsfähigsten Länder der Welt von Rang 16 auf Rang 7 verbessert. Das arme Deutschland erreicht mit Mühe und Not nur den Platz zwölf. Irland? Das war doch das Land, in dem die Banken noch jüngst am Abgrund standen, wo ein kleiner weiterer Schritt gereicht hätte, dann wäre Irland einfach im Meer verschwunden.
Jetzt ist das Land, dank der großzügigen EU-Banken-Hilfe wieder ganz vorn. Das hat die Wirtschaftsuniversität IMD aus Lausanne festgestellt. Das ist so ein Laden, der unter anderem dem Nestlé-Konzern gehört. Nach einer Recherche des „International Institute for Management Development“ haben auch ein paar andere europäische Armenhäuser echte Fortschritte gemacht: Seit Jahren wachsen die Volkswirtschaften in den drei Baltischen Ländern Estland, Lettland und Litauen um jährlich 6 - 8 Prozent: Selbst „Spanien gehört zu den Ländern, die sich weiter verbessern."
Zugleich hat dieses gelobte Wirtschaftswachstum einen positiven Umwelteffekt: Die Länder werden leerer. Und wo weniger Menschen wohnen, wird die Umwelt weniger belastet. Das „Instituto Nacional de Estadística“, die spanische Statistikbehörde, teilte fröhlich mit, dass allein im vergangenen Jahr rund 125.000 Spanier ihrem Land den Rücken gekehrt haben. Auch in den baltischen Staaten machen immer mehr Bürger Platz für Luchs und Wolf. Selbst der seltene Schneehase nimmt wieder Quartier in Estland.
In Litauen schätzten die Behörden die Zahl der Auswanderer seit 1990 auf mehr als 350.000 Personen. Das sind etwa 10 Prozent der Gesamtbevölkerung. Mit dem Beitritt zur Europäischen Union hat sich die Abwanderungswelle weiter verstärkt. Manchmal läuft noch etwas schief: Allein aus Lettland werden monatlich 700 - 1000 lettische Arbeitskräfte in Irland registriert. So war das nicht gedacht: Dass die Balten die leeren irischen Landschaften wieder füllen, nur weil sie für noch weniger Geld schuften als die Eingeborenen.
Die „Konrad Adenauer Stiftung“, das anerkannte CDU-Institut für Sprachschöpfung, kennt die Ursache für die Binnenflucht in der EU: „Zunehmender Reformdruck!“ Ja, so ist es, die Reform drückt so lange auf die Bevölkerungstube, bis sie leer ist.
Bevor die sanktionierte Binnenflucht zur ärgerlichen Draußenflucht wurde – als die Flüchtlinge plötzlich in größeren Zahlen von außerhalb der EU kamen – war das Generalthema der „Alternative für Deutschland“ die Europäische Union. Auch damals schon ging es der Partei um die Raus-Rein-Bewegung. Die Griechen zum Beispiel sollten nach Meinung der AfD raus aus der EU. Rein sollte gar keiner mehr. Aber alle sollten raus aus dem Euro.
Weil der erste Aufstieg der streng deutschen Alternative mit diesem Thema eng verbunden war, und weil die AfD-Leute im europäischen Parlament die Neuen sind, und auch weil die AfD im Thema Flucht gut zu Hause ist, sind von den AfD-Abgeordneten in Straßburg sicher total innovative Vorschläge zur europäischen Binnenflucht zu erwarten. Für die mehr als 8.000 Euro Abgeordneten-Alimente monatlich kann man ja kreative Antworten auf die Frage „Warum fliehen so viele Europäer aus ihrer Heimat“ erwarten.
Die AfD-Abgeordneten sitzen seit Mai 2014 im Europa-Parlament. Und sie haben es geschafft sich irgendwie zu verdoppeln. Neben der AfD mit zwei Abordneten gibt es jetzt auch noch die „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ (ALFA) mit fünf Vertretern im EU-Parlament. Diese erstaunliche Leistung konnte durch Zellteilung erreicht werden, denn die ALFA-Menschen waren bis Mitte des letzten Jahres noch Mitglieder der AfD.
Jetzt sind nur noch die Grenzschutzmaschine Beatrix von Storch und der Grenzschützer Marcus Pretzell als echte AfD-Abgeordnete unterwegs. Unterwegs ist das Stichwort: Frau von Storch ist wegen ihres Schießbefehls aus der durchaus rechten Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformisten“ (EKR) ausgetreten, um einem Rauswurf zuvorzukommen. Macus Pretzell (der Lebensgefährte von Frauke Petry) wurde aus ähnlichen Gründen entfernt.
Wahrscheinlich wegen dieses aufwändigen Lebenswandels findet man zum Thema Binnenflucht nichts in den öffentlichen Äußerungen der beiden Schießwütigen. Kein Redebeitrag, keine Presseerklärung, gar nichts. Obwohl Frau von Storch im „Ausschuss für bürgerliche Freiheiten“ existiert. Und die unbegrenzte Reisefreiheit innerhalb der EU für Arbeitslose eigentlich ein Thema für sie wäre. Auch Pretzell, der sich im „Ausschuss für Binnenmarkt“ aufhält, hätte doch mal was zum offenen Markt für Lohndrücker in der EU sagen können.
Doch wer glaubt, wenigstens die ALFA-Leute hätten was zum Thema geäußert, der irrt. Denn die inneneuropäische Armutsflucht ist ein Thema der kleinen Leute. Echte Herrenmenschen-Parteien, wie die Alternativen im Aufbruch, können sich mit solchen Unterschichten-Themen nicht aufhalten.
Die EU ist überall. Zwar sitzt der deutsche Nachwuchs nicht in den Booten der Armutsflucht auf dem Mittelmeer. Aber jene 1,54 Millionen Kinder unter 15 Jahren, die heute in Deutschland von Hartz IV leben, haben sich in der Armutsfalle einrichten müssen. Denn Armut ist im reichen Deutschland erblich: Wer wie diese Kinder heute von 270 Euro monatlich lebt, dessen Aufstieg in die Hartz-Erwachsenen-Klasse mit 404 Euro monatlich ist gewiss.
Gottseidank haben wir Frau Nahles, die Arbeitsministerin, die von Mitleid zerfliessend weiß: "Kinderarmut ist immer ein bedrückendes Phänomen." Aber das Phänomen bleibt ihr weit genug vom Hals, um diesen Bürokraten-Satz hinterher zu schieben: "Die Verbesserung von Transferleistungen führt nicht dazu, dass strukturell das Problem wirklich gelöst wird“. Nur ja keinen Cent mehr für die armen Kinder heißt das. Denn Geld macht nur faul.
Und während die ausländischen Kinder fleißig mit Booten unterwegs sind, könnten die deutschen doch mit dem Rad nach Irland, um die freigewordenen Bettlerpläze zu füllen. Das Bisschen Kanal wird man doch wohl überwinden können. Dann käme auch die AfD und ihr herausragender Gauland erneut zum Zuge: "Wir können uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen“.