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Brief an Rompuy

Gemeinsamer Deutsch-Französischer Brief an EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy. Darin fordern Angela Merkel und Nicolas Sarkozy den EU-Chef auf, das Zepter zu übernehmen und spezifizieren die in Paris gefassten Beschlüsse im Hinblick auf eine EU-Wirtschaftsregierung. MMnews präsentiert den Brief im Original.

 

 
Originalbrief von Merkel / Sarkozy an Herman Van Rompuy, abgeschickt am 17. August 2011:


Sehr geehrter Herr Präsident!
 
Der Euro ist das Fundament unseres wirtschaftlichen Erfolgs und das Symbol für
die politische Einigung unseres Kontinents. Er steht für den Willen Europas,
seine innere Entwicklung zu festigen und sich den Herausforderungen der heutigen
Zeit gemeinsam zu stellen. Deutschland und Frankreich betrachten es als ihre
historische Aufgabe, mit vereinten Kräften die Wirtschafts- und Währungsunion und
damit die Stabilität der gemeinsamen Währung zu schützen und zu stärken.
 
In den letzten Monaten haben die Staats- und Regierungschefs des
Euro-Währungsgebiets alle notwendigen Maßnahmen ergriffen, um die Stabilität der
Wirtschafts- und Währungsunion aufrechtzuerhalten. Sie haben darüber hinaus
klargestellt, dass alle Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets gemeinsam
Verantwortung für dieses tragen, insbesondere durch ihre Haushalts- und
Wirtschaftspolitik.
 
Seitdem haben die Europäische Union und die Mitgliedstaaten des
Euro-Währungsgebiets entscheidende Reformen zur Stabilisierung der Wirtschafts-
und Währungsunion eingeleitet.
 
Durch den reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakt, das neue
Ungleichgewichteverfahren und den Euro Plus-Pakt werden die wirtschafts- und
finanzpolitische Koordinierung und Überwachung im Euro-Währungsgebiet gestärkt,
und wir stellen sicher, dass jede Abweichung von den von diesen Instrumenten
vorgegebenen Zielen frühzeitig erkannt und angegangen wird. Für die mittel- und
langfristige Stabilität des Euro-Währungsgebiets spielt diese Präventionspolitik
eine zentrale Rolle.
 
Gleichzeitig haben wir mit der Europäischen Stabilisierungsfazilität (EFSF) und
ab Mitte 2013 mit dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) ein
Instrumentarium geschaffen, um gezielt einzugreifen, falls dies unumgänglich ist,
um die Stabilität des gesamten Euro-Währungsgebiets immer im Rahmen adäquater
Konditionalität aufrechtzuerhalten. Von der EFSF begünstigte Mitgliedstaaten
unternehmen erhebliche Anstrengungen, um die Ursachen der Krise vor allem zu hohe
Staatsverschuldung und mangelnde Wettbewerbsfähigkeit wirksam zu bekämpfen.
 
Alle Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets haben sich dazu verpflichtet, ihre
Defizite schnell zurückzufahren, mittelfristig einen ausgeglichenen Haushalt zu
erreichen und die nötigen Strukturreformen durchzuführen, um die
Wettbewerbsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften nachhaltig zu stärken.
 
Frankreich und Deutschland sind entschlossen, alle Beschlüsse der Staats- und
Regierungschefs vom 21. Juli vollständig und fristgerecht umzusetzen. Beide
Länder heben hervor, wie wichtig es ist, bis Ende September die Zustimmung ihrer
jeweiligen Parlamente zu allen einschlägigen Beschlüssen zu erhalten. Sie rufen
alle Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets auf, angemessene Maßnahmen zu
ergreifen, damit die neue EFSF Ende September voll einsatzbereit ist. Frankreich
und Deutschland fordern die schnelle Fertigstellung des Legislativpakets für die
Stärkung des Stabilitäts- und Wachstumspakts und die neue makroökonomische
Überwachung.
 
Mit Blick auf Punkt 16 der Erklärung der Staats- und Regierungschefs des
Euro-Währungsgebiets vom 21. Juli schlagen Frankreich und Deutschland vor, die
wirtschaftspolitische Steuerung des Euro-Währungsgebiets in Übereinstimmung mit
den bestehenden Verträgen weiter zu stärken.
 
1/ Steuerung des Euro-Währungsgebiets stärken
 
Mit den Beschlüssen des letzten Jahres wird das Ziel verfolgt, in allen
Mitgliedstaaten die Stabilität zu erhöhen und das Wachstum voranzutreiben. Zur
Unterstützung dieses Prozesses muss der institutionelle Rahmen des
Euro-Währungsgebiets gestärkt und straffer organisiert werden, damit der
Entscheidungsfindungsprozess effizienter wird und seine Einrichtungen und
Verfahren besser aufeinander abgestimmt sind.
Dieser Rahmen sollte sich auf folgende Vorschläge stützen:
 
 Regelmäßige Treffen der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets:
Diese Treffen werden zweimal pro Jahr und wenn nötig zu außerordentlichen
Sitzungen einberufen und dienen als Eckpfeiler der verbesserten wirtschaftlichen
Steuerung des Euro-Währungsgebiets. Dort würden insbesondere die korrekte
Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakt durch die Euro-Mitgliedstaaten
überprüft, die Probleme einzelner Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets
diskutiert und die notwendigen Grundsatzentscheidungen zur Krisenabwehr
getroffen. Auf diesen Gipfeltreffen werden außerdem die Entwicklung der
Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Währungsgebiet bewertet und die Eckpfeiler der
dortigen Wirtschaftspolitik definiert, um nachhaltiges Wachstum zu fördern, die
Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und das Entstehen von Ungleichgewichten zu
verhindern.
 
 Die Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets sollten einen Vorsitz
wählen, der im Regelfall zweieinhalb Jahre im Amt bleibt. Wir haben unserem
Wunsch Ausdruck verliehen, dass Du diese Aufgabe übernimmst.
 
 Die Euro-Gruppe der Finanzminister sollte gestärkt werden.
 
 Die Instrumente von EFSF/ESM wurden durch die Beschlüsse vom 21. Juli
ausgeweitet. Im Rahmen angemessener Konditionalität werden ihre Wirksamkeit und
Flexibilität erhöht. Um der neuen Rolle gerecht zu werden, sollte der ESM neue
Analysekapazitäten erhalten, insbesondere in Bezug auf die Analyse von Schulden
und Kapitalmärkten; dies wäre als Ergänzung zu der Analyse und den Empfehlungen
von Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem
Währungsfonds zu sehen.
 
2/ Bessere  Überwachung  und  Einbeziehung  der  Haushalts- und 
Wirtschaftspolitik

 
Die Wirtschafts- und Währungsunion muss auf einer noch engeren Koordinierung der
nationalen Haushalts- und Wirtschaftspolitik aufbauen.
Sie sollte mithilfe der folgenden Vorschläge weiter gestärkt werden:
 
 Auf der Grundlage ihrer Verpflichtungen aus dem Euro Plus-Pakt werden alle
Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets bis Sommer 2012 eine finanzpolitische
Regelung für einen ausgeglichenen Haushalt in ihr innerstaatliches Recht
aufnehmen. Grundsätzlich wird diese Regel in die Verfassung der Mitgliedstaaten
geschrieben oder in Recht gleichen Ranges, um ihre Beständigkeit und ihren
Vorrang gegenüber dem jährlichen Haushalt sicherzustellen. Die Regel sollte die
Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes umsetzen und sicherstellen, dass
jeder Mitgliedstaat des Euro-Währungsgebiets seinen Haushalt so schnell wie
möglich ausgleicht. Dadurch würde sie einen anhaltenden Abbau der Schuldensalden
sicherstellen für den Fall, dass diese den Referenzwert (60 Prozent des BIP)
überschreiten. Im Einklang mit dem verbesserten Stabilitäts- und Wachstumspakt
müssen alle Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets, deren Schuldenstand den
Referenzwert übersteigt, bis Ende 2011 einen Anpassungspfad zum Abbau ihrer
Staatsschuld unter den Referenzwert vorlegen und offenlegen, wie mit den
Auswirkungen der alternden Bevölkerung auf die langfristige Schuldentragfähigkeit
umgegangen wird.
 
  Alle Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets sollten unverzüglich ihre feste
Absicht bekräftigen, die an sie gerichteten europäischen Empfehlungen zur
Haushaltssanierung und für Strukturreformen insbesondere in den Bereichen
Arbeitsmarktpolitik, Wettbewerb im Dienstleistungsbereich und Rentenpolitik rasch
umzusetzen und ihre Haushaltsentwürfe in angemessener Weise anpassen.
 
  Wir werden uns dafür einsetzen, dass sich die Regierungen und Parlamente aller
Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets zur Anpassung ihrer Haushaltsentwürfe
bekennen, falls sie im Rahmen des europäischen Semesters entsprechende
Empfehlungen erhalten.
 
  Im Einklang mit dem Euro Plus-Pakt sollten die Mitgliedstaaten des
Euro-Währungsgebiets alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die
Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, die Stabilität
des gesamten Euro-Währungsgebiets zu gewährleisten und die wirtschaftliche
Integration zu verstärken. Insbesondere die Koordinierung der Steuerpolitik
sollte weiter vorangetrieben werden, um einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung
und zum Wirtschaftswachstum zu leisten. Die Mitgliedstaaten sollten sich darum
bemühen, die Verhandlungen über den Vorschlag der Kommission zu einer
"gemeinsamen konsolidierten Körperschaftssteuerbemessungsg
rundlage" vor Ende des
Jahres 2012 abzuschließen. Die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets sollten
bereit sein, eine verstärkte Zusammenarbeit zur Erzielung weiterer Fortschritte
bei der Steuerkoordinierung in Erwägung zu ziehen. Die Mitgliedstaaten des
Euro-Währungsgebiets sollten ihre Zusammenarbeit intensivieren, um schädliche
Steuerpraktiken zu verhindern sowie Betrug und Steuerhinterziehung zu bekämpfen.
 
   Zur Unterstützung notwendiger Reformen sollten die Struktur- und der
Kohäsionsfonds genutzt werden, um Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit im
Euro-Währungsgebiet voranzutreiben. Die makroökonomische Konditionalität des
Kohäsionsfonds sollte auf die Strukturfonds ausgeweitet werden. Die Fonds sollten
darauf abzielen, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und Ungleichgewichte in den
Mitgliedstaaten zu verringern, die im Rahmen des Ungleichgewichteverfahrens
Empfehlungen erhalten. Bei Programmländern sollte die Europäische Kommission
automatisch prüfen, ob das makroökonomische Anpassungsprogramm durch Struktur-
und Kohäsionsfonds optimal unterstützt wird. Sie sollte hier auch in die Auswahl
und Umsetzung der Projekte eingebunden sein. Innerhalb der Europäischen
Kommission sollte dem Kommissar für Wirtschaft und Währung in diesem Prozess eine
entscheidende Rolle zukommen. Mittel, die von den Programmländern nicht genutzt
werden, könnten in einem Fonds für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit gebündelt
werden, der auf europäischer Ebene von der Kommission verwaltet wird. Zukünftig
sollten Zahlungen aus den Strukturfonds und dem Kohäsionsfonds an Länder des
Euro-Währungsgebiets, die sich nicht an die Empfehlungen im Rahmen des
Defizitverfahrens halten, ausgesetzt werden. Diese Änderungen sollten in den
neuen Struktur- und Kohäsionsfondsverordnungen umgesetzt werden, die für den
nächsten mehrjährigen Finanzrahmen vorgeschlagen werden.
 
Die zuvor erwähnten Vorschläge sollten so umgesetzt werden, dass sie dem
Zusammenhalt der gesamten Europäischen Union dienlich sind. Das Europäische
Parlament, die Europäische Kommission und die einzelstaatlichen Parlamente
sollten in ihrer jeweiligen Zuständigkeiten an dem Prozess teilhaben. Unter den
Bestimmungen des geltenden Vertrages sollten Unionsrechtsakte einschließlich
Rechtsakte nach Art. 136 AEUV und im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit in
Erwägung gezogen werden.
 
Schließlich wollen wir Dich davon in Kenntnis setzen, dass wir beschlossen haben,
in eine neue Etappe der wirtschaftlichen und budgetären Annährung zwischen
unseren beiden Ländern einzutreten.
 
Hierzu haben wir die folgenden drei Entscheidungen getroffen:
 
1.) Wir haben unsere Finanzminister gebeten, bis Ende September einen gemeinsamen Vorschlag zur Finanztransaktionssteuer zu erarbeiten, um zu den Überlegungen der Europäischen Kommission beizutragen.
 
2.) Wir haben entschieden, uns zu Beginn jedes Europäischen Semesters zu treffen,
um uns zu unseren Wirtschafts- und Haushaltspolitiken auszutauschen und um
gemeinsam die makroökonomischen Annahmen für unsere Haushalte festzulegen. Ein
erstes Treffen wird im Januar 2012 stattfinden.
 
3.)  Im Hinblick auf das 50-jährige Jubiläum des Elyséevertrags haben wir unsere
Wirtschafts- und Finanzminister gebeten, Vorschläge im Hinblick auf die
Konvergenz und erhöhte Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaften zu
erarbeiten.
 
Wir haben sie insbesondere gebeten, einen Vorschlag für eine gemeinsame
Unternehmenssteuer unserer beiden Länder zu erarbeiten, einschließlich einer
Harmonisierung der Bemessungsgrundlage und der Steuersätze. Diese soll ab 2013
umgesetzt werden.
 
Mit freundlichen Grüßen
 
Angela Merkel            Nicolas Sarkozy


 

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