Immer mehr Ministerpräsidenten sprechen sich für eine allgemeine Impfpflicht in Deutschland aus - klare Gegner einer solchen Maßnahme sind nur noch wenige übrig geblieben. Gemeinsam mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) hat nun dessen baden-württembergischer Amtskollege Winfried Kretschmann (Grüne) einen entsprechenden Appell veröffentlicht. "Eine Impfpflicht ist kein Verstoß gegen die Freiheitsrechte", schreiben Söder und Kretschmann in einem gemeinsamen Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Dienstagsausgabe).
Vielmehr sei eine Impfpflicht Voraussetzung dafür, dass Freiheit zurückgewonnen werde. "Denn unser Grundgesetz schützt nicht eine Freiheit der Willkür. Es folgt vielmehr dem Prinzip der Freiheit in Verantwortung. Es verpflichtet uns dazu, die Freiheiten aller Betroffenen zu gewichten und auf dieser Basis zu entscheiden." Zwar könne in Deutschland "jeder denken, was er wolle", doch gebe es auch eine Grenze, "wenn die eigene Weltanschauung anderen Menschen schweren Schaden" zufüge, so Söder und Kretschmann. "Genau das ist in der Frage der Impfverweigerung der Fall. Das Ergebnis dieser Abwägung ist gerade jetzt, nachdem wir mit milderen Mitteln nicht weiterkommen, die Forderung nach einer allgemeinen Impfpflicht", heißt es in dem Gastbeitrag.
Anders als häufig behauptet, so die beiden Regierungschefs, werde eine allgemeine Impfpflicht die Gesellschaft nicht spalten: "Die Gesellschaft droht nicht dann zu zerbrechen, wenn der Staat die Dinge in die Hand nimmt und eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht einführt. Sie droht dann zu zerbrechen, wenn er die Dinge treiben lässt." Neben Söder und Kretschmann hatten sich zuletzt auch schon Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) offen für eine allgemeine Impfpflicht gezeigt. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatte schon vor längerer Zeit ebenso wie zuletzt Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) eine Impfpflicht nicht ausgeschlossen.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sieht immerhin noch "hohe Hürden", NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) mahnte eine "gründliche Prüfung" an. Deutlich gegen eine Impfpflicht wird nur noch im Südwesten argumentiert: Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) ist klar dagegen, Tobias Hans (CDU) aus dem Saarland hält die Debatte für unnötig. Rückendeckung bekommen die Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht unterdessen vom Bochumer Verfassungs- und Gesundheitsrechtler Stefan Huster: "Die Infektionszahlen steigen, Intensivstationen laufen über, Operationen werden abgesagt, zugleich steht genügend Impfstoff zur Verfügung. Wie lange will sich die Politik die Situation noch ansehen?", sagte er der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (Dienstagsausgabe).
"Wir haben lange genug über die Notwendigkeit einer Corona-Impfung diskutiert, doch die Impfquote steigt kaum an. Gutes Zureden hilft nicht mehr." Der Jurist betonte aber, dass Impfpflicht nicht Impfzwang bedeute. Man könnte die Leute "ja schlecht mit der Polizei abholen". Es müsse aber strikte Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte geben, dies ließe sich über das Infektionsschutzgesetz regeln, sagte Huster, der als Vorsitzender einer Expertenkommission die Corona-Politik der Bundesregierung untersucht. Ungeimpfte sollten vorübergehend nur noch für lebensnotwendige Besorgungen am öffentlichen Leben teilnehmen dürfen. Es könne zwar sein, dass eine solche Regelung Widerstand auslöse, doch dies sei eine Frage der politischen Abwägung. Für manche Impfskeptiker könne dies ein letzter Anstoß sein, sich immunisieren zu lassen. Zuvor hatte Huster bereits eine Debatte über eine Ausgangssperre für Ungeimpfte nach dem Vorbild Österreichs angestoßen. "Wenn die Zahlen weiter so rapide steigen und die Intensivstationen überlaufen, wäre ein Lockdown für Ungeimpfte sinnvoll."
Foto: Impfzentrum, über dts Nachrichtenagentur